Presseartikel sowie Internet-Veröffentlichungen zum Thema
Bremer Staats-Theater flutet die Freie Bremer Musikszene

"Dammbruch oder Hirnriss?"

Sonntags-Kurier vom 22.07.07
Die Musiker sorgen für sich selbst
BREMEN (CHE). Wir erinnern uns: im April wurden die Probenräumen von vielen Bremer Musikern - von 80 ist die Rede - auf dem Gelände des Güterbahnhofs unter Wasser gesetzt, weil Johann Kresnik dort "Amerika" inszenierte, dazu viel Wasser benötigte, das aber nicht dort blieb, wo es bleiben sollte. Der Schaden war groß, die Versicherung zahlt wohl nur einen Teilbetrag.
Dokument der Bremer Szene
So griffen die Musiker zum Rettungsring "Benefiz-CD", deren Einnahmen zur Wiederbeschaffung der zerstörten Geräte und Instrumente verwendet werden sollen. Das Album trägt den hübsch doppeldeutigen Titel "Hahn aufdrehn!", womit eben nicht nur die Flutwelle, sondern auch der Geldhahn gemeint ist. Wer seinen privaten Geldhahn ein wenig "aufdreht", bekommt ein Dokument der Bremer Szene. Dabei wird er womöglich erstaunt feststellen, wie viele und wie viel unterschiedliche Musiker und Bands sich im Güterbahnhof eingenistet haben.
21 ganz verschiedene Bands
Die CD mit über einer Stunde Spielzeit versammelt 21 Bands aller möglicher Stilrichtungen: Folk, Heavy Metal, Rootsrock, Liedermacher, Rockabilly, Punk und Psycho-Attacken. Die Bandbreite reicht von den Ariolas bis zu Zaches & Zinnober, von den Rock'n'Rollern Larry & The Handjive mit ihrem Gast Tony Sheridan bis zum Szenemotor Peter Apel, der bei Bands wie Electric Family, Surfin’ Mo-Tones, Telstars und den Ariolas mitwirkt. Dabei ist auch die Rockabilly-Band The Wild Black Jets, die mit Altmeister Alvin Stardust rocken, und die junge Ska-Punk-Beat-Kapelle Mad Monks. Selbstverständlich sind auch Michael Zachcial und seine Grenzgänger mit von der Partie, schließlich hat er mit seinem Müller-Lüdenscheidt-Verlag das Werk unter Mithilfe des Dub City Tonstudios realisiert. Wie gesagt, ein hübsches Dokument, für das man ruhig mal den "Hahn aufdrehn!" kann. Zu beziehen ist die CD über www.bettlerbankett.de - wie passend!


Bremer Tageszeitungen vom 19.07.07

Benefiz-CD für Wassergeschädigte
BAHNHOFSVORSTADT (XKN). Der Schaden ist groß, Peter Apels Zorn auch. Nachdem das Künstlerhaus "Güterabfertigung" von Theaterregisseur Johann Kresnik irrtümlich geflutet wurde, ist jetzt die Benefiz-CD "Hahn aufdrehn" erschienen. Der Erlös ist für die geschädigten Musiker bestimmt. Die Scheibe bietet einen Querschnitt durch die Bremer Musikszene, von Metal über Ska, Rockabilly, Rock und Pop bis Folk.
Betroffene der Überflutung sind dabei, die anderen haben aus Solidarität Songs beigesteuert. Unter den Interpreten sind auch einige über die Grenzen Bremen hinaus bekannte Acts wie etwa President Evil, Mad Monks, Electric Family, Alvin Stardust oder Tony Sheridan. "Obwohl nun die Renovierung weitestgehend abgeschlossen ist und es für die meisten finanziell nicht ganz so katastrophal verlaufen ist, wie befürchtet, hat nur ein Bruchteil der Musiker bisher überhaupt Geld von der Versicherung erhalten", sagt Apel. "Unterstützung ist also immer noch dringend nötig."
Die CD kostet zwölf Euro (plus zwei Euro bei Versand). Es gibt sie in einigen Geschäften im Viertel und sie kann auch über Peter Apel bezogen werden: mail@peterapel.de, Telefon 1 65 36 86. Nähere Informationen im Internet www.bettlerbankett.de/hahnaufdrehn.

Benefiz-CD nach Wasserschaden
FINDORFF (XKN). Nachdem das Künstlerhaus "Güterabfertigung" am Bremer Güterbahnhof im April wegen eines Theaterprojekts vom Wasser überflutet wurde, ist jetzt eine Benefiz-CD mit dem Namen "Hahn aufdrehn" erschienen, deren Erlös ausschließlich für die geschädigten Musiker bestimmt ist. Der Sampler bietet einen Querschnitt durch die Bremer Musikszene, von Metal über Ska, Rockabilly, Rock und Pop bis Folk. Viele Bands sind direkte Betroffene der Überflutung gewesen, die anderen haben aus Solidarität Songs beigesteuert. Unter den Bands sind auch einige über die Grenzen Bremen hinaus bekannte Acts wie etwa President Evil, Mad Monks, Electric Family, Alvin Stardust oder Tony Sheridan.
"Der Erlös geht ausnahmslos an die geschädigten Musiker. Obwohl nun die Renovierung weitestgehend abgeschlossen ist und es für die meisten finanziell nicht ganz so katastrophal verlaufen ist, wie befürchtet, hat nur ein Bruchteil der Musiker bisher überhaupt Geld von der Versicherung erhalten, viele mussten sich Geld von Bekannten oder Verwandten leihen oder Darlehen aufnehmen. Unterstützung ist also immer noch dringend nötig", berichtet der Musiker Peter Apel vom Projekt-Studio und der Musikschule "tonbetrieb".
Die CD mit einer Spielzeit von rund 71 Minuten kostet zwölf Euro (plus zwei Euro bei Versand). Es gibt sie in ausgewählten Bremer Musik-Läden; sie kann auch über das Internet erworben werden: http://chanson.de/catalog/product_info.php?products_id=274. Außerdem kann "Hahn aufdrehn" auch bei Peter Apel bezogen werden, auf Wunsch mit Signatur: mail@peterapel.de, Telefon 1 65 36 86. Nähere Informationen im Internet www.bettlerbankett.de/hahnaufdrehn.


Taz 7.7.2007 HENNIN BLEYL
Nasses Kunstnomadentum
Die Musikszene hofft auf ein Domizil in der Vahr, die gebeutelten Güterbahnhöfler haben eine Selbsthilfe-CD produziert
Für die vielfältig geplagte Bremer Musikszene gibt es ein paar Hoffnungsschimmer. Die rund 300 Musikerinnen, die vor fünf Wochen das Postamt 5 räumen mussten, haben gute Chancen auf ein Ausweichquartier in der Vahr: Zwei Gebäude der Schule OttoBraunStraße stehen leer. Sie sind zwar bei weitem nicht so günstig gelegen wie das
BahnhofsPostamt. in dem der Kirchentag Quartier nimmt. „Aber wir sind ja nicht verwöhnt", sagt Lars Friedrichs von den derzeit obdachlosen „TekFu". Die von der Gesellschaft für Bremer Immobilien (GBI) angebotene Alternative wäre jedenfalls nicht einladender: Ein Trakt in der leer stehenden Vollzugsanstalt Blockland. Statt Zellen zu 8,63 Quadratmetern (Friedrichs: „Wir hätten auch Wanddurchbrüche planen dürfen") könnten bald 24 Schulräume zwischen 17 und 70 Quadratmetern zur Verfügung stehen wenn die Mietverhandlungen abgeschlossen sind. Auch ein SchallGutachten ist noch in Arbeit, ein genügender Schallschutz für die Anwohnerinnen zeichnet sich laut Friedrichs, der die Gründung eines MusikerVereins vorantreibt, jedoch bereits ab. Akustische Interferenzen innerhalb der Häuser fürchtet der Gitarrist nicht: „ Im Postamt hatten wir auch nur Rigipswände da fielen schon mal die Gläser aus dem
Regal, wenn die Nachbarn loslegten. Vor Ort scheint es wenig Vorbehalte gegen die lautstarken künftigen Mitbewohnerinnen zu geben. Ortsamtsleiter Werner Mühl steht dem Vorhaben offen gegenüber, ebenso die
Betreiber der Evangelischen Bekenntnisschule die allerdings hat 2009 ein Vorkaufsrecht für die Gebäude, um ihren Unterricht ausweiten zu können.

Selbst solche kurzfristigen Optionen sind für die Szene angesichts chronischer Raumknappheit wertvoll. Die etwa 100 Musikerinnen im Keller des Güterbahnhofs, geschädigt vom Wassereinbruch im Rahmen der „Amerika-Inszenierung, sind derweil zur Selbsthilfe geschritten. Da nach wie vor unklar ist, ob und in welcher Höhe die Versicherung für den auf etwa 100.000 Euro geschätzten Schaden aufkommt, haben sie nun eine BenefizCD mit dem beziehungsreichen Titel „Hahn aufdrehen" produziert. Der Sampler könnte mit seiner 1oooerAuflage durchaus zur Lösung der finanziellen Probleme beitragen nebenbei bietet er einen spannenden Überblick über die musikalische Bandbreite von 22 Güterbahnhof-Bands.
CD-Bezug (12 Euro): Unter anderem „Ear", Hot-Shot-Records", Ostertor-Buchhandlung.
Informationen über die ehemaligen Postamt-Bands: www.pa5.de.vu


taz 7.7.07
KOMMENTAR VON HENNING BLEYL
Freie Musikszene - Ein Fall von Vernachlässigung
Die freie Musikszene ist das Stiefkind der Bremer Kulturpolitik. Wobei „Stiefkind"missverständlich ist: Es geht unter anderem um die Existenz in Ehren ergrauter Profis,die sich durch eine Mischung aus Gig, Unterricht und Lebenskunst über Wasser halten.Und der Stadt damit einen ebenso reichhaltigen wie im besten Sinnen bodenständigen Kultur-Input bescheren.
Mit diesem kreativen Klientel ist Bremen oft mehr als spröde umgesprungen. Bis heutehat die Kulturbehörde ihr Versprechen nicht erfüllt, die Bunker für den Probebetrieb nachzurüsten -nachdem die Bands aus Brandschutzgründen Knall auf Fall, nach 15 lahren anstandsloser Nutzung, vertrieben wurden. Lediglich die Erdgeschosse sind wieder
freigegeben - also ein Viertel der früheren Fläche. Bernd Neumann, der komissarische Amtsleiter, setzt sich jetzt produktiv für ein Ausweichquartier in der Vahr ein - aber das ebenso schlichte wie fundamentale Manko der Bremer Musikförderung schlägt immer wieder durch: Niemand ist wirklich zuständig. Das verwaiste Referat ird seit vielen lahren
positiv ausgedrückt - „mitverwaltet" Nun sind die traditionell schlecht organisierten Musikerinnen auch keine Spezies, die sich auf den Aufbau einer schlagkräftigen Lobby versteht. Was sie brauchen, sind ja auch keine unmittelbaren Subventionen oder zentralisierte Strukturen - sondern Rahmenbedingungen, die laute Musik erlauben. Dafür
müsste die Stadt in ihrem Leerstands-Bauchladen eigentlich nicht allzu lange kramen



taz Nord vom 12.6.2007 (Interview), JANA WAGNER

" Ich vermisse den Dialog"

Generalintendant Klaus Pierwoß bekommt aus dem Güterbahnhof keinen Orden - aber ein Andenken

taz: Sie ehren den scheidenden Generalintendanten Klaus Pierwoß heute mit einem Kunstobjekt. Warum?

Peter Apel, Musiker: Er bekommt eine Erinnerungsskulptur für das Wasserschaden-Event im April im Güterbahnhof. Da hatte die Bühne des Stückes "Amerika" nicht gehalten und die Räume der Musiker im Keller waren geflutet worden. Viele unwiederbringliche Sachen sind dabei untergegangen. Bei mir waren es Tonarchive.

Sie treten also nach?

Nein. Aber ich weigere mich weiter als Opfer in der Ecke zu stehen. Deswegen werde ich aktiv mit einer Kunstperformance. Meine Kollegen und ich sind, waren oder werden auch weiterhin Lohnsklaven des Theaters sein.…

… weil Sie für bestimmte Produktionen engagiert werden…?

Ja. In diesem Falls suche ich aber einen Weg, der auch meiner Befindlichkeit entspricht. Wir sind ja sogar noch von Kresnik, der das Stück inszeniert hat, mit dummen Sprüchen abgefertigt worden! Es gibt auch bis heute keine offizielle Entschuldigung vom Theater.

Aber das Theater hat Sie doch auch unterstützt...

Wir haben auch selbst eine CD gemacht: "Hahn aufdrehen". Und vom Theater haben wir die Einnahmen aus einer Amerika-Vorstellung bekommen. Aber der Schaden ist im Vergleich dazu viel zu groß. Ganz ehrlich: Das Theater will mit solchen Benefizaktionen doch nur in die Presse.

Was hatten Sie denn erwartet?

Weniger Formalitäten. Mich hat die Unter-den-Tisch-Kehrerei erstaunt: Als das Ganze passiert war, dachte ich, dass einem irgendjemand einen Notgroschen gibt. Später habe ich dann wenigstens Gespräche erwartet - aber die gab es nur in Form einer Vorladung, die sehr unerfreulich lief. Das Theater hat wohl so viele Probleme, dass es sich nicht darum kümmern kann. Ich bin nicht böse. Aber ich vermisse den Dialog!

Infos zur CD: www.bettlerbankett.de




Pressemitteilung von Peter Apel vom 06. Junil 2007

O-Ton Apel: "Lieber Herr Pierwoß..."
In Zeiten großer Gesten und symbolreicher Benefizveranstaltungen seitens des Bremer Theaters - zugunsten der im April gefluteten Freien Bremer Musikszene - offeriert Peter Apel als einer der Hauptbetroffenen des Kresnikschen Wasserdesasters eine Dankesgabe:
Peter Apel schenkt Herrn Generalintendant Prof. Dr. Klaus Pierwoß eine Erinnerungs-skulptur zum wässrigem Event vom 11.04.07 (Künstlerhaus Güterabfertigung, Kresnik-Spektakel "Amerika").

Der Bremer Musiker und Komponist möchte sich damit für die gelungene Reality-Regie des Bremer Theater in seinem Leben und Werk sowie für die Chance eines dramatischen Neuanfanges in der reifen Lebensmitte erkenntlich zeigen.

Das tiefblaue transparente Kunstobjekt - nach Apels Vorgaben von dem friesischen Gießharzkünstler Theodorus Anton Pier kreiert, bietet durch seine Form, die an ein überdimensioniertes Überraschungs-Ei erinnert, und durch die verarbeiteten Materialien (Schrott, Muscheln, Kristalle) viele Assoziations-möglichkeiten für erkenntnisreiche Meditationen über Themen wie Wandel, Fluß, Vergänglichkeit und Perfektion.

Der bitteren Klage über den Verlust seines Ton- und Bildarchiv aus 20 Jahren künstlerischer selbständiger Arbeit überdrüssig geht Apel den Schritt nach vorne und erklärt sich selbst zum gelungenen Echtzeit-Schauspiel (Titel: Amerikarggedon) eines nach Kafkaeskem schielenden Inszenörs.... und das ist schon ein DANKE wert.

O-Ton Apel: " Lieber Herr Pierwoß, bitte nehmen Sie mein Geschenk an, es kommt vom Herzen. Ich möchte es Ihnen zu Ihrer Bundesverdienstkreuzverleihung - zusammen mit meinem Hörstück "Deiche brechen nie, nur manchmal" - am 12.06.07 überreichen dürfen. Vielen Dank für Ihre rasante Dramaturgie und das so wunderbar lebensnahe Libretto. Es hat mein Leben und Schaffen radikal umgeschrieben. Mit freundlichem Gruß, Ihr Peter Apel"


PETER APEL ......Gitarrist - Komponist - Performer
Projekt-Studio / Privat-Musikschule "tonbetrieb" im Künstlerhaus Güterabfertigung
Am Güterbahnhof, 28195 Bremen

 

taz Nord vom 4.6.2007 (betr. nicht direkt den Wasserschaden)
"...nicht vom Kultursenator"
Der scheidende Generalintendant des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß, erzählt von den bittersten Erfahrungen seiner Amtszeit und warum und von wem er das Bundesverdienstkreuz annimmt
Interview von Benno Schirrmeister
taz: Als letzte Opernpremiere Ihrer Intendanz gab es Wagner. Aber nicht "Die Götterdämmerung". Sondern "Tristan und Isolde", Liebestod - und Verklärung. Wie darf man das verstehen?
Klaus Pierwoß: Ursprünglich hatten wir ein anderes Werk geplant: "Schwarzerde" von Klaus Huber. Es war uns aber unter den Umständen der Insolvenz-Androhung zu unsicher, ob sich dieses Stück angemessen realisieren lässt. Dann wurde als Alternative "Tristan und Isolde" in die Diskussion geworfen. Das hat keine tiefere Symbolik.
Versöhnlich wirkt aber, dass Sie sich am 12. Juni das Bundesverdienstkreuz anhängen lassen - nach 13 Jahren Streit mit
Es war kein pausenloser Streit. Von den acht Senatorinnen und Senatoren, die ich in der Zeit erlebt habe, muss ich zwei ausdrücklich davon ausnehmen, mit denen ich die Arbeit als durchaus partnerschaftlich empfunden habe.
Wen?
Helga Trüpel und Kuno Böse. Bei den anderen sechs hat sich der Streit wie ein roter Faden durch die Zusammenarbeit gezogen. Und es ist keineswegs so, dass ich das verdrängt hätte. Im Gegenteil. Als wir an diesem dicken Buch zu meiner Intendanz gearbeitet haben - über das sich Herr Kastendiek dem Vernehmen nach sehr echauffiert hat - ist das alles noch einmal hochgekommen.
Welche Erfahrungen waren die bittersten?
Es gab zwei Situationen, die mir auch persönlich sehr zu schaffen gemacht haben: Dass man in der zweiten und in der zwölften Spielzeit Veranstaltungen gegen den Theatertod machen muss -das hat mich sehr durchgerüttelt. Die Insolvenzandrohung in der vergangenen Spielzeit hat mich richtig deprimiert.
Und trotzdem nehmen Sie den Orden an?
Ja. Ich habe darüber nachgedacht. Diese Ordensverleihung geht zurück auf eine Initiative der Gegner meiner Gegner
will sagen: persönlichen Freunde?
Nein. Wenn das eine Freundschaftshuberei wäre, dann hätte ich daran kein Interesse. Die Initiative geht aus von den Sympathisanten unserer Arbeit. Zudem wird der Orden nicht von der Stadt, sondern vom Bundespräsidenten verliehen. Und nicht vom Kultursenator überreicht, sondern vom Ministerpräsidenten, also Jens Böhrnsen, zu dem ich, wie zu seinem Vorgänger, ein positiv besetztes Verhältnis habe. Außerdem hebt die Begründung für die Ordensverleihung ausdrücklich anerkennend hervor, dass ich mich immer wieder in Auseinandersetzungen mit dem Senat begeben habe.
Die Widerborstigkeit der Kulturszene hat allerdings nachgelassen
Ich habe als Einziger öffentlich kritisiert, dass es die Breminale nicht mehr gibt, dass es das Tanzfestival nicht mehr gibt, dass die Weserburg auf der Kippe steht, dass der Kulturszene zustehende Gelder wegen eines eitlen Machtpokers zwischen Nußbaum und Kastendiek nicht ausgezahlt wurden, - ein Pflaster habe ich mir bisher noch nicht auf den Mund kleben lassen.
Aber die anderen Akteure waren früher kämpferischer.
Ich finde es auch für das politische Klima in dieser Stadt fatal, dass sich andere nicht mehr öffentlich entrüsten. Wenn sich die Kulturszene nicht mehr durch Interventionen bemerkbar macht, dann bedeutet das eine Talfahrt für die Kultur. Ohne öffentlichen, kontroversen Diskurs in Bremen wird die Stadt ärmer. Nur: Ich werde das künftig nicht mehr leisten können.
Trauen Sie Ihrem Nachfolger Hans-Joachim Frey zu, dass er diese Rolle ausfüllt?
Ich habe diese Rolle nicht aus Vorsatz angenommen. Ich bin in sie gedrängt worden: Die Situation hat es einfach erfordert, sich zu verteidigen. Also habe ich versucht, diese Rolle so effektiv wie möglich auszufüllen. Es kommt nicht darauf an Krawall zu machen, sondern durch die öffentlichen Auseinandersetzungen den Finger in die Wunden zu legen und etwas Besseres zu erreichen.
Dass das Theater dazu auffordert, die Aufführungen jetzt zu besuchen, so lange es "in dieser Qualität" noch existiert, hört sich nach einer Spitze gegen Herrn Frey an.
Wenn mein Nachfolger verkündet, wieder "frischen Wind" in das Theater bringen zu wollen, dann muss diese Replik erlaubt sein. Wir streichen ja nur die Vorzüge unserer Theaterarbeit heraus, eine Qualität, die aus dem Prinzip des Ensemble- und Repertoiretheater resultiert, für das wir uns sehr bewusst entschieden haben - im Interesse unseres Publikums. Kein Mensch geht wegen der Dramaturgen oder des Intendanten ins Theater. Für die Zuschauer sind die Schauspieler, Sänger und Tänzer die Personen, mit denen sie sich identifizieren. Wenn ich mir die Abgänge aus dem Ensemble angucke, dann muss ich schon sagen: Bei allem Verständnis für den Willen zum Neubeginn - das wird für dieses Theater ein empfindlicher Verlust. Deshalb präsentieren wir noch einmal unsere Stärken.

 

Bremer Tageszeitungen vom 25.4.2007
Musiker greifen zur Selbsthilfe
BREMEN. Nach der Flutkatastrophe im Güterbahnhof machen sich zahlreiche Musiker Sorgen um ihre Zukunft. Wie berichtet, hatten 700 000 Liter Wasser, die Regisseur Johann Kresnik für sein Theaterstück "Amerika" in ein altes Gleisbett eingeleitet hatte, die Probenräume der im "Verein 23" organisierten Musiker geflutet.
Die zu erwartenden Zahlungen der Versicherung werden den tatsächlichen Schaden jedoch kaum abdecken, verlautete jetzt vom Verein.
Auch die vom Bremer Theater geplante Benefiz-Veranstaltung "stellt in keiner Form eine ausreichende Schadensregulierung dar", schreiben die Musiker. "Die entstandenen Kosten des Unfalls bewegen sich im sechsstelligen Bereich. Die zu erwartenden Zahlungen des Versicherers werden dies nicht decken."
Die Musiker planen daher in Zusammenarbeit mit einem Bremer Musik-Verlag die Veröffentlichung einer CD-Compilation mit dem Titel "Wellenreiter", die noch vor den Sommerferien in die Läden kommen soll. Der Erlös der Einnahmen geht vollständig als Wiederaufbauhilfe an die geschädigten Musiker und Tonstudios des Vereins.Wer den Verein darüber hinaus unterstützen will, kann auf das Konto (980 543 202) des "Vereins 23" bei der Postbank Hamburg (200 100 20) spenden. Das Spenden-Kennwort lautet "Rettungsring".


 

Leserbrief
in taz Nord vom 23.4.2007
Bei Abnahme etwas schiefgelaufen

betr.: "Ball flach halten", taz Bremen vom 14. 4.

(...) man kann davon ausgehen, dass bei der Abnahme des Beckens etwas schiefgelaufen ist. Wir reden hier von 700 Tonnen Wasser, die natürlich auch mächtig zur Seite drücken. (…) Ein direkt Betroffener.
THOMAS MILOWSKI, Bremen

 

Leserbrief in taz Nord vom 23.4.2007
Biblische Strafe

betr.: "In der Traufe", taz Bremen vom 13. 4.

Da sitzt unser Gitarrist Peter Apel in seinem Studio, arbeitet an Riffs und Melodien für das nächste Electric Family-Album als - wie eine biblische Strafe - die nasse Theaterwelle durch seinen Raum und rund zwanzig weitere schwappt, Instrumente mit sich reißt und Existenzen vernichtet. Wo bleibt der kollektive Aufschrei, Bremen Kulturhauptstadt! (…) TOM REDECKER, Osterholz-Scharmbeck

 

Leserbrief in taz Nord vom 23.4.2007
Kresnik und die britische Szene
betr.: "In der Traufe", taz Bremen vom 13. 4.

(…) es hat Musiker gegeben, die während des Wassereinbruchs in ihren Studios waren und beim nahezu zwecklosem Versuch, zu retten, was zu retten war, auch noch lebensgefährlichen Stromschlägen ausgesetzt waren. (…) Unsere Band ist mitten in einer CD-Produktion mit dem britischen Pop und Rocksänger Alvin Stardust. Der Erscheinungstermin wird sich auf unbestimmte Zeit verzögern, da Aufnahme-Modifikationen mangels Studioraum unmöglich geworden sind. So schallt der Namen Kresnik vielleicht bald auch nach England (…) TORSTEN GLUSCHKE (Wild Black Jets), Bremen

 

Leserbrief
in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Eine Mauer im alten Gleisbett im Güterbahnhof hielt dem Druck nicht stand und 700 000 Liter Wasser suchten sich ihren eigenen Weg. Statt einen künstlichen Kanal zu bilden, setzen sie auch die Übungsräume von einem guten Dutzend Bands im Keller unter Wasser, zerstören Instrumente sowie Verstärkeranlagen und stürzten Musiker in Existenzängste. Jetzt verstärkt sich der Druck auf Regisseur Johann Kresnik und sein Theater. Sie sollen sich mehr um die Geschädigten kümmern.

Für die Folgen aufkommen
Wenn für solche Spektakel Geld vorhanden ist, dann sollte das Bremer Theater auch Geld übrig haben, um die Folgen des von Kresniks Inszenierung verursachten Wasserschadens begleichen zu können. In ihrer realen Existenz bedrohte Musikschaffende, die seit Jahren kontinuierlich Beiträge zur Bremer Szene liefern, werden sonst von der Versicherung, wenn überhaupt, mit winzigen Beträgen abgespeist, obwohl ihr Equipment, ihre Studios und Unterrichtsräume komplett abgesoffen sind.
Das Bauressort und das Theater weisen beide jegliche Verantwortung von sich, wenn 700 Tonnen Wasser brüchige Mauern sprengen, die Politik rührt sich bis jetzt nicht. Das sollte sich schnell ändern.
THOMAS MILOWSKI, BREMEN

 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Nicht zu überbieten
Es würde mich interessieren, welcher Art die 700 000 Liter Wasser für Herrn Kresniks "Amerika"-Inszenierung waren, die dann versickert sind. Vermutlich handelte es sich um Leitungswasser, oder? Wenn dem so war, dann ist es an Dekadenz nicht mehr zu überbieten, wenn man in der gleichen Ausgabe der Zeitung das Bild der Frauen in Südindien sieht, die täglich in langen Schlangen mit Krügen und Kannen vor Wasserstellen anstehen.
Wir wissen inzwischen alle, dass Wasser zu einem kostbaren und hier zu Lande auch teuren Gut geworden ist - für Herrn Kresnik gilt das aber offensichtlich nicht, egal ob der künstliche See Bestand gehabt hätte oder nun versickert ist. Die so genannte künstlerische Gestaltung schert sich offensichtlich um gar nichts.
ROSEMARIE WALTHER, BREMEN

 

Leserbrief
in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Wertschätzung verloren
Wer zu Zeiten des Klimawandels so dekadent 700 000 Liter Wasser für eine Inszenierung verschwendet, dem sollte zu Hause mal der Wasserhahn zugedreht werden, damit er eine Wertschätzung für dieses hohe Gut erfährt. Alle Welt redet davon, dass die nächsten Kriege um das Wasser gehen werden, aber wie heißt es doch so schön: Nach mir die Sintflut!
Der andere Aspekt ist die Respektlosigkeit gegenüber den Musikern. Wer sich ein wenig in der Branche auskennt, der weiß, dass viele Musiker permanent auf der Suche nach Übungsräumen und zudem häufig knapp bei Kasse sind.
SIBYLLE M. BALKOW, BREMEN


 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Extravaganzen
Jetzt kann ich verstehen, warum Pierwoß der Frage nach den Kosten ausgewichen ist, wenn auch die Folgekosten nur von jemandem erwartet werden konnten, der weiß, dass 700 000 Liter Wasser immerhin 700 Tonnen wiegen.
Mich erinnert dieser Fall an den Regisseur, der die Idee hatte, ein Loch in den Eisernen Vorhang zu schneiden und das Theater durch die freigesetzten Asbestfasern für Wochen stilllegte. Ich hoffe, dass der neue Intendant solchen Extravaganzen der Regisseure einen Riegel vorschiebt. HEINZ HARTMANN, BREMEN


 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Nicht nur materielle Werte
Herzlichen Dank für Ihre Berichtserstattung zur Theaterflut. Es sollte in Ihrer Zeitung kritisch weiter beobachtet und berichtet werden, in welcher Weise die durch oberflächliche Stabilitätsprüfung geschädigten Musiker behandelt werden. Einige der Betroffenen stehen vor einer existenzgefährdenden Katastrophe.
Es sind nicht nur materielle Werte zerstört worden, sondern auch Produkte jahrelanger Arbeit: Archive, Festplatten, Noten und Tonbänder.
Sollte jetzt versucht werden, nur den Zeitwert der Instrumente und Einrichtungsgegenstände zu ersetzen, wäre das ein Skandal. KLAUS FEY, BREMEN


 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Stoff für den Staatsanwalt
Regisseur Johann Kresnik hat im Rahmen seines Güterbahnhof-Tsunamis wahrhaft kafkaeske Welten inszeniert. Getreu seiner Vorliebe für die Kreation bombastischer Haupt- und Staatsaktionen, deren eitler Zweck wohl eher darin zu bestehen scheint, sich selbst immer wieder neue und peinlichere Denkmäler zu setzen, gibt Kresnik sich nicht mit Kleinigkeiten ab: Die von ihm und seinen Spezialisten aus der Statik-Abteilung des Theaters verursachten und zu verantwortenden Schäden werden flugs zur Theaterkulisse umgewidmet, die völlig offenen Schicksale der rund 80 um ihre kulturelle und ökonomische Existenz bangenden Kulturschaffenden statt durch unmittelbare materielle Hilfe kaltschnäuzig mit blankem Zynismus abgefertigt. Originalton Kresnik: "Die Einwanderer in Amerika hatten ja auch einige Schwierigkeiten zu überwinden".
So einfach scheint das in Bremen zu gehen: Kriminelle Leichtfertigkeit im Kulissenbau, offenkundige Ignoranz und Schlamperei bei den statischen Vermessungen, Inszenierung eines Polizeieinsatzes zur Sperrung des Findorff-Tunnels und - als "Kollateralschaden"- die zynisch in Kauf genommene Traumatisierung der direkt betroffenen und in Not geratenen Musiker, deren Existenzvernichtung auf einen bloßen "Versicherungsfall" reduziert wird: Wäre das nicht - frei nach Kafkas Roman "Der Prozess" - reichhaltiger Stoff für eine strafrechtliche Untersuchung seitens der Staatsanwaltschaft Bremens? DR. PETER HINRICHS, BREMEN


 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Wo bleibt das Bedauern?

Viele Bremer zeigen viel Verständnis für die betroffenen Musiker. Es ist mehr als ärgerlich, dass Kresnik noch kein öffentliches Bedauern für die, durch sein Debakel stark angeschlagene Bremer Musikszene ausgedrückt hat.
Für mein Empfinden waren da bisher weitgehend eher zynische Kommentare zu lesen. Nach meiner Information hat es Musiker gegeben, die zum Zeitpunkt des Wassereinbruchs in ihren Studios und Proberäumen waren und beim nahezu zwecklosen Versuch, zu retten, was zu retten war, nämlich ihre Existenz, auch noch lebensgefährlichen Stromschlägen ausgesetzt waren. Als Mitwirkende der "Bremer Nacht" - unser Equipment war zum Glück teilweise ausgelagert - hatten auch wir am Sonnabend die Ehre, an unserem Spielort die Bürgermeister Böhrnsen und Wowereit zu begrüßen. Ich konnte mir aber nicht verkneifen, uns als "Überbleibsel"der Kresnik-Katastrophe zu bezeichnen. Herr Böhrnsen hatte es dann leider sehr eilig, zu gehen.
Man hört von weniger Betroffenen, es sollte jetzt kein "Aktionismus" betrieben werden. Nach meiner Erfahrung hört man dieses immer dann, wenn Interessenkonflikte bestehen. Allerdings kann es letztlich tatsächlich dazu führen, das Herr Kresnik und Company von den unschönen Dingen, die der Musikszene Bremens geschehen sind, auch noch profitierten (kostenlose Negativwerbung). Leider sind viele Menschen so. TORSTEN GLUSCHKE, BREMEN


 

Leserbrief in Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07

Als Kulisse zu gebrauchen
Zynismus kennt keine Verwandten. Hauptsache, das Theater funktioniert noch. Vielleicht können die Bremer Theater für spätere Kulissen günstige Musikinstrumente gebrauchen, dazu taugen sie nämlich auch noch, nachdem sie einmal gebadet haben. Kultur ist nicht nur das, was viel Geld kostet und absurd auf die Bühne kommt. Diese aber lebt auf und weiter, die andere ist ertrunken. Liebe Grüße von einer triefenden Gitarre. CHRISTINA PLETSCH, BREMEN


 

Bremer Tageszeitungen vom 20.4.2007 (betr. nicht den Wasserschaden)
Bundesverdienstkreuz für Klaus Pierwoß
Klaus Pierwoß erhält das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wie gestern die Senatskanzlei mitteilte, wird der Generalintendant des Bremer Theaters mit dieser Auszeichnung kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit im Juli diesen Jahres für sein "weit über das übliche Maß hinausgehende Engagement" geehrt. Dazu zählt das Rathaus neben seiner "klugen Spielplanpolitik" auch die "hartnäckigen Verhandlungen" mit dem Senat um die Etats und den Existenzerhalt des Theaters, in dem der 64-jährige Klaus Pierwoß seit 1993 federführend tätig ist. Das Bundesverdienstkreuz wird dem Intendanten am 12. Juni im Kaminsaal des Rathauses übergeben.

 

Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung / Die Musiker
vertreten durch: Benjamin Kuhlmann, Peter Apel, Max Gebhardt, Udo Steinmann
Am Güterbahnhof, 28195 Bremen, Tel. 0421/165 36 86


Pressemitteilung der Musiker des Verein 23 , vom 19.04.07
Betr.: Pressemitteilung des Bremer Theaters zum Wasserschaden 11.04.07 Künstlerhaus Güterabfertigung (Johann Kresniks Kafka-Spektakel "Amerika")

Die Geste des Bremer Theaters in Form einer Benefiz-Veranstaltung stellt in keiner Form eine ausreichende Schadensregulierung dar und ist auch nicht so gedacht. Die entstandenden Kosten des Unfalls bewegen sich im sechsstelligen Bereich. Die zu erwartenden Zahlungen des Versicherers Performa werden dies nicht decken.
Wir sind natürlich dankbar für jede Form der Unterstützung und freuen uns über dieses erste Zeichen der Verantwortlichen. Aber auch wir wollen aktiv werden:

1. Das Konto des Verein 23 dient ab sofort als Spendenkonto für die Geschädigten des bühnenbautechnischen Unfalls des Bremer Theaters. Wer jetzt den Musikern finanziell unter die Arme greifen will, kann ab sofort auf das untenstehende Konto überweisen:

Kto. 980 543 202
BLZ 200 100 20
Kreditinstitut: Postbank Hamburg
Verwendungszweck: Rettungsring
Kto.Inhaber: Verein Dreiundzwanzig

2. Die Musiker und Freunde des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung planen in Zusammenarbeit mit einem bekanten Bremer Musik-Verlag die Veröffentlichung einer CD-Compilation (Titel "Wellenreiter"), die noch vor den Sommerferien in den Läden stehen wird. Der Erlös der Einnahmen geht vollständig als Wiederaufbauhilfe an die geschädigten Musiker und Tonstudios des Verein 23.

Bremen, 19. 04.07
Die Musiker des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung

Die Musiker des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung
 

Pressemitteilung der Musikerinitiative Bremen (MIB) , vom 18.04.07
Betr.: Wasserschaden Güterbahnhof/Freie Musikszene/Bremer Theater
Wir, die Musikerinitiative Bremen (MIB), erklären unsere Verbundenheit und Solidarität mit der Freien Musikszene im Kulturzentrum Güterbahnhof, die von dem riesigen, durch die Arbeit des Bremer Theaters vor Ort entstandenen Wasserschaden betroffen ist. Wir erwarten von den VERANTWORTLICHEN und VERURSACHERN, daß der entstandene Schaden an Instrumenten, Räumen, Verdienstausfall, Masterbändern u.a.m. verantwortlich und angemessen geregelt wird, damit keine Musikerexistenz gefährdet wird.


Reinhart Hammerschmidt, 1. Vorsitzender der Musikerinitiative Bremen (MIB)

 

taz Nord vom 18.4.2007

Geld für Musiker
Das Bremer Theater stellt den MusikerInnen des Güterbahnhofs die Einnahmen aus einer Aufführung von "Amerika" zur Verfügung. Das ist das Ergebnis eines Treffens der Überschwemmungsbetroffenen mit der Theaterleitung. Die Zahlung sei nicht als Schadensregulierung zu verstehen, betonte Geschäftsführer Wolfgang Patzelt. Mit dieser Soforthilfe sei der "Verein 23" "erst mal zufrieden", sagte dessen Sprecher Christian Just. TAZ


 

Leserbrief (bisher unveröffentlicht) an WK und TAZ, vom 18.04.07d TAz
Betr.: Berichterstattung über Theaterflut / Wasserschaden im Güterbahnhof

Herzlichen Dank für Ihre Berichterstattung zur Theaterflut . Es sollte in Ihrer Zeitung kritisch weiter beobachtet und berichtet werden , in welcher Weise die durch oberflächliche Stabilitätsprüfung geschädigten Musiker behandelt werden.
Einige der Betroffenen stehen vor einer existenzgefährdenden Katastrophe .
Es sind nicht nur materielle Werte zerstört worden , sondern auch Produkte jahrelanger Arbeit : Archive , Festplatten , Noten , Bänder etc.
Sollte jetzt versucht werden , nur den Zeitwert der Instrumente und Einrichtungsgegenstände zu ersetzen , wäre das ein Skandal . - Klaus Fey, Bremen

Klaus F
 

Leserbrief (bisher unveröffentlicht) zum WK-Artikel vom 13. April 2007:
„ 80 Musiker sind schwer geschockt“ – Johann Kresnik spielt mit der ungewollten Flut…..“

Regisseur Johann Kresnik hat im Rahmen seines Güterbahnhof-Tsunamis wahrhaft kafkaeske Welten inszeniert. Getreu seiner Vorliebe für die Kreation bombastischer Haupt- und Staatsaktionen, deren eitler Zweck wohl eher darin zu bestehen scheint, sich selbst immer wieder neue und peinlichere Denkmäler zu setzen, gibt Kresnik sich nicht mit Kleinigkeiten ab: Die von ihm und seinen „Spezialisten“ aus der Statik-Abteilung des Theaters verursachten und zu verantwortenden Schäden werden flugs zur Theaterkulisse umgewidmet, die völlig offenen Schicksale der ca. 80 um ihre kulturelle und ökonomische Existenz bangenden Kulturschaffenden statt durch unmittelbare materielle Hilfe kaltschnäutzig mit blankem Zynismus abgefertigt (Originalton Kresnik:“Die Einwanderer in Amerika hatten ja auch einige Schwierigkeiten zu überwinden“).
So einfach scheint das in Bremen zu gehen: kriminelle Leichtfertigkeit im Kulissenbau, offenkundige Ignoranz und Schlamperei bei den statischen Vermessungen, Inszenierung eines (wie teuren?) Polizeieinsatzes zur Sperrung des Findorff-Tunnels und –als „Kollateralschaden“- die zynisch in Kauf genommene Traumatisierung der direkt betroffenen und in Not geratenen Musiker, deren Existenzvernichtung auf einen bloßen „Versicherungsfall“ reduziert wird: Wäre das nicht - frei nach Kafkas Roman „Der Prozess“ – reichhaltiger Stoff für eine strafrechtliche Untersuchung seitens der Staatsanwaltschaft Bremens? - Dr. Peter Hinrichs, Bremen

 

Bremer Tageszeitungen vom 17.4.2007 WK-Redakteur Arno Schupp
Kresnik-Stück soll Musikern helfen
Theater plant Benefiz-Aufführung

BREMEN. Das Bremer Theater will den rund 80 Musikern, die wegen des Wasserschadens im Güterbahnhof zum Teil in Existenznot geraten sind, die Einnahmen einer Vorstellung des Stücks "Amerika" (etwa 6000 bis 7000 Euro) zur Verfügung stellen. Zudem will die Theaterleitung in der Kulturpolitik um weitere Unterstützung werben.Zu dem Wasserschaden war es gekommen, nachdem die Umrandung eines von Regisseur Johann Kresnik gefluteten Gleisbetts gebrochen war. 700  000 Liter Wasser suchten sich anschließend den Weg ins Freie und in die Probenkeller der Musiker (wir berichteten). Zwar haben die Versicherungen bereits Gutachter geschickt, allerdings befürchten die Musiker, dass das Geld kaum ausreichen wird, um das beschädigte Equipment zu ersetzen. Zudem, so heißt es, könnten einige Musiker die Zeit bis zur Schadensregulierung finanziell kaum überbrücken. "Ich habe mir bereits den Zeitpunkt meiner Insolvenz errechnet", sagt beispielsweise Berufsmusiker Peter Apel. "1. Juni", lautet seine Prognose. Als Termin für die Benefiz-Aufführung steht der 9. Juni im Raum.Frank Schümann, Sprecher des Theaters, sieht die Nöte der Musiker. "Wir sind zwar Verursacher, aber wir haben nicht fahrlässig gehandelt." Schließlich sei das Gleisbett von Statikern überprüft worden. Die in dem "Verein 23" organisierten Musiker zeigten sich mit den gestrigen Gesprächen "erst einmal zufrieden", so Sprecher Christian Just. "Uns ist in erster Linie wichtig, dass wir in der für uns sehr schwierigen Situation nicht alleine gelassen werden."

 

Radio Bremen TV Buten un Binnen 16.4. Beitrag, [2'57]  
Die große Flut von Amerika

Fast eine Woche nach der großen Flut im Bremer Güterbahnhof sind 60 Musiker noch immer in ihrer Existenz bedroht. Für die Inszenierung "Amerika" hatte das Bremer Theater ein Gleisbett fluten lassen. Weil ein Bahnsteig dem Druck nicht Stand gehalten hatte, war das Wasser in die Probenräume und Studios der Musiker im Keller geflossen. Das Theater will nun Geld für die Flutopfer sammeln.

 

Radio Bremen 1 - Bericht vom 16.04.2007 mp3

 

Leserbrief (bisher unveröffentlicht) vom 16.04.07, an die TAZ und den Weser-Kurier
" Neutralisiert" Kultur Kultur?
Viele Bremer sprechen uns z.Zt. an und zeigen viel Verständnis für die betroffenen Musiker. Es ist mehr als ärgerlich , daß Kresnik noch kein öffentliches Bedauern für die, durch sein Debakel stark angeschlagene Bremer Musikszene ausgedrückt hat.
Für mein Empfinden waren da doch bisher weitgehend eher zynische Kommentare zu lesen ?
Nach meiner Information hat es Musiker gegeben, die zum Zeitpunkt des Wassereinbruchs in ihren Studios und
Proberäumen waren und beim nahezu zwecklosem Versuch, zu retten, was zu retten war (nämlich ihre Existenz),
auch noch lebensgefährlichen Stromschlägen ausgesetzt waren.
Als Mitwirkende der "Bremer Nacht" (unser Equipment war zum Glück teilweise ausgelagert) hatten auch wir
am Samstag die Ehre, an unserem Spielort Bürgermeister Börnsen und Wowereit zu begrüßen. Ich konnte mir aber
nicht verkneifen, uns als "Überbleibsel"der " Kresnik"-Katastrophe" zu bezeichnen. Herr Börnsen hatte es dann leider sehr eilig, zu gehen.. In diesem Zusammenhang hört man von weniger Betroffenen, es sollte jetzt kein "Aktionismus" betrieben werden.
Nach meiner Erfahrung hört man dieses immer dann, wenn Interessenkonflikte bestehen. Allerdings kann es letztlich tatsächlich dazu führen, das Herr Kresnik und Company von den unschönen Dingen, die der Musikszene Bremens geschehen ist, auch noch profitiert (kostenlose Negativwerbung).
Unsere Band selbst ist mitten in einer CD-Produktion mit dem britischen Pop und Rocksänger Alvin Stardust. Der Erscheinungstermin wird sich auf unbestimmte Zeit verzögern, da Aufnahme-Modifikationen dank Herrn Kresniks subventioniertem Ego über Wochen mangels Studioraum unmöglich geworden sind. So schallt der Namen Kresnik vielleicht bald auch nach England und deren Szene, Kresnik kennt ja dort noch keiner...
Oder wird doch noch alles gut? - Torsten Gluschke (Wild Black Jets), Bremen

 

Pressemitteilung des Bremer Theater vom 16. April 2007
Bremer Theater unterstützt Verein 23
Einnahmen einer AMERIKA-Vorstellung werden den betroffenen Musikern als Benefiz zur Verfügung gestellt - Gemeinsamer Appell an die politischen Instanzen

Das Bremer Theater hat dem Verein 23, dessen Mitglieder durch den Wasserschaden am Güterbahnhof in existenzielle Nöte geraten sind, anlässlich eines Aufeinandertreffens am Montag seine Hilfe zugesichert. Konkret bot die Theaterleitung - vertreten durch den Generalintendanten Klaus Pierwoß und den kaufmännischen Geschäftsführer Wolfgang Patzelt - dem Verein an, ihm die Einnahmen einer Vorstellung des Stückes AMERIKA im Güterbahnhof als Benefiz zur Verfügung zu stellen. Gedacht wird an den 9. Juni, da an diesem Termin der Tag der offenen Tür des Vereins 23 stattfindet. Weiter bietet das Theater den Musikern an, den Raum vorher und nachher für eigene (Benefiz-)Veranstaltungen zu nutzen. Wolfgang Patzelt betonte, dass es sich hierbei keineswegs um eine Schadensregulierung, sondern um eine Geste des Theaters handele. Die Summe soll den Musikern schnellstmöglich als Soforthilfe zugestellt werden.
Die Mitglieder des Vereins 23, deren Abordnung die existenziellen Nöte der Musiker schilderte, zeigten sich mit dem Gespräch erst einmal zufrieden, so Sprecher Christian Just: Uns ist in erster Linie wichtig, dass wir in der für uns sehr schwierigen Situation jetzt nicht alleine gelassen werden. Patzelt und Pierwoß kündigten an, sich - sofern möglich - in allen Bereichen für die Belange der Musiker einzusetzen. Zudem appellierten sowohl Theater als auch Musiker-Verein an die politischen Instanzen, die Musiker in ihrer Notsituation zu unterstützen. Beide Seiten betonten, dass die zuletzt auch öffentlich ausgetragenen Differenzen damit zunächst bereinigt seien; auch sei es, wie Just darstellte, niemals die Absicht des Vereins gewesen, irgendwelche Veranstaltungen des Theaters zu behindern.

Mit der Bitte um Veröffentlichung und mit freundlichen Grüßen,
Frank Schümann, Bremer Theater, Goetheplatz 1-3, 28203 Bremen
Frank Schümann - Leitung Öffentlichkeitsarbeit/Marketing
Tel.: 0421-3653-210 Fax: 0421/3653-216 E-Mail fschuemann@bremertheater.com

 

taz Nord vom 16.4.2007 (Leserbrief)
Monatelang Instrumente flicken
betr.: "Ball flach halten", taz bremen vom 14. 04. 2007
(…) Dies (der Wasserschaden am Güterbahnhof, d. Red.) ist kein Fall für die Versicherung, sondern für den Staatsanwalt. Wahrscheinlich denken sich die mächtigeren Parteien: "Wo kein Kläger, da auch kein Richter." Und bei freiberuflichen Künstlern, die jetzt monatelang ihre Instrumente flicken, weil die Versicherung sowieso nur Zeitwert und den nur im härtesten Fall einer Zerstörung (Grundtenor: "Gitarre stehen lassen, das trocknet. Nachher wie neu") berechnet, da haben sie gute Chancen, dass es genau so sein wird. Ein echtes Schnäppchen.
Ein Staats-Filz aus Bremer Theater, BIG, Performa, Baubehörde schiebt nun die heiße Kartoffeln zwischen sich hin und her und zerreibt mit geschulter Taktik die Geschädigten. Profis eben.
Warum gibt's keinen Untersuchungsausschuss dazu? Es hätten dabei viele Menschen zu Schaden kommen können, nicht nur unwiederbringliche Studio-Masterband-Archive, wertvolle Vintage-Instrumente, teure Akustik-Inneneinbauten und die Existenzen von 80 Freiberuflern. Ich weiß nicht, wo der Sinn in Verständnis-Haben-Sollen für diese üble Posse liegt. (…) PETER APEL, Bremen

 

Leserbrief (bisher unveröffentlicht) an den Weser-Kurier, 15.4.07 zum Artikel: Kresniks Kafka Spektakel:
Wenn für solche Spektakel Geld vorhanden ist, dann sollte das Bremer Theater auch Geld übrig haben, um die Folgen des von Kresnik´s Inszenierung verursachten Wasserschadens begleichen zu können. In ihrer realen Existenz bedrohte Musikschaffende, die seit Jahren kontinuierlich Beiträge zur Bremer Szene liefern, werden sonst von der Versicherung,
wenn überhaupt, mit winzigen Beträgen abgespeist, obwohl ihr Equipment, ihre Studios und Unterrichtsräume komplett abgesoffen sind. Das Bauressort und das Theater weisen beide jegliche Verantwortung von sich, wenn 700 Tonnen Wasser brüchige Mauern sprengen, die Politik rührt sich bis jetzt nicht. Das sollte sich schnell ändern.- T.M., Bremen

Leserbrief
(bisher unveröffentlicht) an die TAZ Bremen, 15.4.07
Wenn ein paar Fotos solch eine Reaktion im Bauressort und beim Bremer Theater auslösen und sich gegenseitig die Schuld zugewiesen wird, kann ein normal denkender Mensch davon ausgehen, dass bei der Abnahme des Beckens etwas schiefgelaufen ist. Zur Erinnerung: Wir reden hier von 700 Tonnen Wasser, die natürlich auch mächtig zur Seite drücken. Es ist wohl an der Zeit, dass wir Musiker uns einen Sachverständigen holen und unsere Verluste einklagen. Ein direkt Betroffener. - T.M., Bremen

 

Hannoversche Alllgemeine vom 15.4.2007
Hier kam die Flut
Der Theatermann Hans Kresnik inszeniert in Bremen Franz Kafkas „Amerika“ und macht eine große Welle.


Früher hat Hans Kresnik für andere Wellen gesorgt. Die Wellen der Empörung zum Beispiel schlugen hoch, als er vor drei Jahren „Die zehn Gebote“ in einer Bremer Kirche aufführen ließ – mit älteren nackten Frauen an Nähmaschinen. Jetzt hat Kresnik eine echte Welle verursacht. Im ehemaligen Bremer Güterbahnhof wollte er für seine Version von Franz Kafkas „Amerika“ ein etwa 170 Meter langes Gleisbett komplett unter Wasser setzen. Die Senke zwischen zwei Bahnsteigen wurde mit Folie ausgeschlagen und geflutet. Und dann barst eine Wand. 700.000 Liter Wasser ergossen sich in tiefer gelegene Räume, die einer Musikerinitiative gehörten. Schlagzeuge, Gitarren, Verstärker und Lautsprecherboxen soffen ab, durch den Wasserdruck brach eine Tür auf, ein nahe gelegener Tunnel unter den Schienen wurde unter Wasser gesetzt, die Polizei musste den Autoverkehr umleiten. Kresnik hatte ein Teilziel erreicht: Sein Theater war wieder mal Gesprächsthema in der Stadt. Auf den Wasserschaden reagierte der routinierte Regisseur recht souverän. Das Schiffchen, das auf dem Gleiskanal schwimmen sollte, ließ er einfach trockenfallen, und an dem eingebrochenen Bahnsteig änderte er nichts; ein paar Pfützen auf der Plane zeugen bei der Premiere vom Unfall. Der Schadensfall als Theaterbild – da muss man erst mal drauf kommen. Und das muss dann auch noch passen. Verblüffenderweise tut es das. Es ist sogar ein recht starkes Bild – denn es erzählt vom Projektemachen und vom Scheitern und passt damit sehr schön zu Kafkas Romanfragment vom jungen Karl Roßmann, den seine Eltern nach Amerika geschickt haben und der dort so etwas wie eine entgrenzte Moderne mit Neigung zum Katastrophischen vorfindet. Regisseur Kresnik steht für ein Theater der lauten Worte und starken Bilder. Oft (wenn die Worte wichtiger sind als die Bilder) sind seine Arbeiten lautstark; gelegentlich, wie bei seiner vielgerühmten Inszenierung von Karl Krauss’ „Die letzten Tage der Menschheit“ in einem ehemaligen U-Boot-Bunker in Bremen, überwiegen die Bilder – dann kann sein Theater sehr stark werden, manchmal auch traumhaft schön. In „Amerika“ halten sich die lautstarke und die traumstarke Seite in etwa die Waage. Am Anfang irrt der junge Karl Roßmann (Andreas Seifert) durch den Güterbahnhof und ruft „Worin liegt meine Schuld? Wer macht mir den Prozess?“. Man merkt, dass da jemand einen eher schlichten Text auf Kafka zu biegen versucht. Später sagt der reiche Herr Pollunder Sätze wie: „Ohne uns hätten zum Beispiel europäische Nahrungsmittelkonzerne nie gelernt, die Menschheit gegen Bezahlung zu vergiften.“ Da haben wir es dann mit Flugblattprosa zu tun, weit, weit weg von Kafka. Und auch noch schlecht gesprochen: Obgleich ihre Worte elektronisch verstärkt werden, neigen die Schauspieler zur Brüllerei. Immer, wenn es besonders kritisch sein soll, wirkt Kresniks Theater besonders affirmativ, der Text (von Christoph Klimke) ist Mainstream, die Argumente sind bekannt, die Phrasen sind hohl, die Pointen schwach: „Morgen wird hier ein neuer Gouverneur gewählt“, heißt es an einer Stelle, „ein Öko-Schwarzenegger. Der kann dann die elektrischen Stühle mit Solarenergie betreiben.“ Bedächtig nickt das Publikum. Auch die fortwährende musikalische Untermalung (von James Reynolds) veredelt das nicht zum Kunstwerk. Aber dann gibt es doch immer wieder großes Kino im Güterbahnhof. Die Zuschauer müssen stehen und gehen, sie wandern die Spielorte des Stationendramas ab – und sehen Erstaunliches: einen Güterwagen als Ozeanriesen, zwanzig Engel mit brennenden Flügeln (die durch den Graben waten, der eigentlich mit Wasser gefüllt sein sollte), eine Monitorwand, auf der Donald Duck die Freiheitsstatue knutscht und Bikinidamen Maschinengewehrsalven abfeuern. Das stärkste aller starken Theaterbilder glückt dem Regisseur am Ende. Der Publikumspulk hat den Güterbahnhof auf ganzer Länge durchschritten und wird jetzt zurückgelotst. Man wandert an der Seitenwand der riesigen Halle entlang. Hier stehen kleine Glashäuschen, in denen früher irgendwelche Aufseher den Güterverkehr kontrolliert haben. Die Glashütten sind mit einer alten Rohrpostanlage verbunden, man erkennt noch Reste technischer Geräte, kann deren Zweck aber nur ahnen. In den Glashäuschen sitzen nackte Statisten. Sie tauchen ihre Hände in Eimer mit roter Farbe und beschmieren damit von innen die Scheiben. Das Bild fügt zusammen, was Kresnik sonst nur als papierne Behauptung zusammengebracht hat: Kafkas Sicht auf Amerika und Guantanamo. Danach fällt polternd die Freiheitsstatue zusammen, und man erinnert sich daran, dass der Regisseur auch vor sehr einfachen Bildern keine Scheu hat. Weitere Aufführungen 19., 21., 27. und 28. April. Kartentelefon: (0421) 3653333. Von Ronald Meyer-Arlt

 

Bremer Tageszeitungen vom 15.4.2007 (betr. nicht den Wasserschaden)
Kresniks Kafka-Spektakel
" Amerika" zeigt Scheitern eines Auswanderers
 
BREMEN (DPA). Nackte kauern in Glaskästen. Zu düsterer Musik schmieren sie orangene Farbe auf die Wände ihres Gefängnisses - eine Anspielung auf das US-Gefangenenlager Guantánamo. Am Sonnabend ist im alten Güterbahnhof in Bremen das Theaterstück "Amerika" nach dem gleichnamigen Auswanderer-Roman von Franz Kafka uraufgeführt worden. Regisseur Johann Kresnik ließ das Publikum bei diesem bilderstarken Prozessionstheater zwei Stunden lang durch den Bahnhof von Bühne zu Bühne wandern. Die 350 Zuschauer reagierten auf die turbulente Inszenierung des Bremer Theaters mit verhaltenem Applaus.
Wie in Kafkas Romanfragment "Amerika" verlässt auch in der Theaterfassung von Christoph Klimke ein junger Mann seine Heimat. Anders als bei Kafka (1883-1924) wandert Karl Roßmann hier allerdings gemeinsam mit seiner Verlobten aus. Im Gegensatz zu den gängigen Amerika-Klischees als Karriereland scheitert er in der Fremde. Karl ist zu ängstlich und zu anständig. Er landet im Lager: Dort sitzt er, mit einem Klebeband fixiert, auf einer Art elektrischem Stuhl: "Ich bin nackt, ohne jede Identität." Nebel löscht seine Existenz aus.
Kresnik hat für seine "Amerika"-Interpretation zu der Musik des Komponisten James Reynolds gemäldeähnliche Szenen komponiert. Auf einem Gerüst hoch über den Köpfen der Zuschauer lässt er Karl, herausragend gespielt von Andreas Seifert, und seine Verlobte zu der Musik einer Streicherin tanzen: Kurze Momente der Ruhe in der tosenden Welt von Waffengeschäften und Korruption. Kresniks Figuren sind schrill angelegt, etwa die Diva mit Milch spritzendem Riesenbusen und echten Ratten im Schlepptau, die Karl auf die Knie zwingt. Kurz darauf explodiert die auf Ölfässern montierte Freiheitsstatue.
Auch bei dieser Inszenierung setzt der 67-jährige Profi-Provokateur Kresnik auf das Stilmittel der Überzeichnung, um die Ausweglosigkeit von Menschen "ohne Geld, ohne Ausweis, ohne Beziehungen" zu zeigen. Ein Kapitalist steht auf dem Dach eines Autowracks, jeder Satz scharf wie ein Schuss: "Überwachungstechnologie, das ist die Zukunft."
Blutige Schweinehälften und eine Monitorwand mit vermeintlichen Nonsens-Sätzen von US-Präsident George Bush sind das Ambiente, in dem Karl die zehn Gebote des Kapitalismus eingeimpft werden. Ein verkrüppelter Kindersoldat verweist auf Irak- und Afghanistankrieg. Trotz polternder Politikkritik sind solche in die Gegenwart übersetzten Szenen spannender als die übrigen Stationen von Karls Irrweg.


 

Bremer Tageszeitungen vom 15.4.2007 (betr. nicht den Wasserschaden)
Theater steht wieder auf festem Fundament

Abkommen zur Stabilisierung bis ins nächste Jahrzehnt ist ausgehandelt / Senat berät am Dienstag
Zur Sicherung des Theaters am Goetheplatz liegt inzwischen eine Vereinbarung vor.
 
BREMEN. Vorhang auf für das druckfrische Stück "Sichere Zukunft im Theater am Goetheplatz": Jahr für Jahr will Bremen gut 23 Millionen Euro beisteuern, damit die Spielstätte, die 2005 in finanzielle Schieflage geraten war, auf lange Sicht eine verlässliche Grundlage für die Arbeit hat. Diese Absicherung, die bis einschließlich der Spielzeit 2012/2013 ausgehandelt wurde, wird in der kommenden Woche im Senat beraten.
Im Herbst 2005 hatte die Theater GmbH - Gesellschafterin: Bremen - zeitweise täglich für Schlagzeilen gesorgt. Dabei ging es fast immer nur um das Eine: Ein Millionenloch im Haushalt. Bald kam sogar der Begriff "Zahlungsunfähigkeit" in den hitzigen Debatten auf.
Gleichwohl keimte parallel die Hoffnung, dass für die traditionsreiche Spielstätte nun nicht endgültig der letzte Akt gekommen ist. Um die Situation zu stabilisieren, wurde ein Darlehen in Höhe von 4,2 Millionen Euro gewährt - damals befristet bis zum 30. Juni 2007. Damit gab es Luft zum Atmen, die Tarifpartner aus Politik und Gewerkschaften konnten sich zusammensetzen und ein Modell zur Zukunftssicherung formen.
Nun liegt der Fahrplan für die Konsolidierung vor. Die damit verbundenen Härten sollen auf mehrere Schultern verteilt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind demnach ebenso gefordert wie die Geschäftsführung und die Gesellschafterin, sprich: die Freie Hansestadt Bremen.
Mehrere Millionen sollen mit dieser Gemeinschaftsaktion in den kommenden Jahren erwirtschaftet werden. Durch den Verzicht auf tarifliche Leistungen würden die Beschäftigten auf insgesamt knapp vier Millionen Euro verzichten. Verdi-Vertreter Onno Dannenberg betonte, die Beschäftigten hätten die Krise nicht verursacht, die Zugeständnisse seien "keine Selbstverständlichkeit". Wichtig sei, dass im Gegenzug eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2012 vereinbart worden sei. Staatsrat Henning Lühr, Verhandlungsführer für den Kommunalen Arbeitgeberverband, dankte den Beschäftigten, dass sie "einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt des Bremer Theaters" leisteten.
Der Gesellschafter Bremen ist laut Verhandlungsergebnis unter anderem mit Investitionszuschüssen dabei. Konkret ist hier daran gedacht, die Laufzeit des gewährten Darlehens zu verlängern. Ein Anteil in Höhe von einer Million der insgesamt 4,2 Millionen Euro würde nach diesem Modell noch in dieser Spielzeit des Theaters in Eigenkapital der GmbH umgewandelt.
Die neue Geschäftsführung, der bereits Erfolge bescheinigt werden, soll ebenfalls einen Teil der Last übernehmen. Ein stattlicher Beitrag wird von den bereits beschlossenen Preiserhöhungen erwartet. Mehreinnahmen sollen dazu über die Garderobengebühr kommen, überdies wird erwartet, dass mehr Geld von Gönnern, Sponsoren, eingeworben wird. Und es soll nicht automatisch zu Neueinstellungen kommen, wenn Personal aus Altersgründen ausscheidet. Zu den Zielsetzungen gehört beispielsweise auch die Verbesserung der betriebswirtschaftlichen Steuerung des Bremer Theaters. Die Abläufe sollen auf diesem Weg noch transparenter gemacht und über ein wirksames Controlling abgesichert werden.
 

taz Nord vom 14.4.2007
Ball flach halten
Schadensbegrenzung nach dem "Theater-Tsunami"

Unter dem Titel "Bremer Staats-Theater flutet die Freie Bremer Musikszene" kursiert im Internet eine bittere Fotostory über den "Theater-Tsunami": Man sieht Bilder von weggesprengten Steinen, nassen Schlagzeugen - und einen Gullideckel, der auf etwaige "Sollbruchstellen" respektive Rohre und Hohlräume in Kresniks Wasserbassinwand hätte aufmerksam machen können. "Genau daneben haben wir eine Probebohrung gemacht", weist ein Theatersprecher den Verdacht auf Fahrlässigkeit zurück.
Das Bauressort betont unterdessen, es sei lediglich für die feuerpolizeiliche Abnahme der Halle sowie die Überprüfung der Fluchtwege zuständig. Die statische Einschätzung des gefluteten Gleisbetts sei allein Sache des Theaters gewesen. Derweil bemüht sich auch der "Verein 23" um Schadensbegrenzung - nach allen Seiten. Natürlich sei die Wut der betroffenen MusikerInnen über kaputte Instrumente, durchnässte Festplatten und Datenverluste nachvollziehbar, sagt Christian Just, Bildender Künstler und Sprecher des "Vereins 23". Voreiliger Aktionismus beeinträchtige jedoch die Schadensregulierung, insbesonders etwaige Störaktionen während der Radio-Übertragung "Nordwest vor Ort" anlässlich der Premiere von "Amerika" könnten sich "extrem kontraproduktiv" auswirken.
Zwar ist Just zufolge zu erwarten, dass die Versicherung lediglich "Restwerte" für das beschädigte Equipment zahlt. Zunächst einmal müsse aber der abschließende Schadensbericht abgewartet werden. Und das für Montag anberaumte Treffen mit der Theaterleitung. HB

 

taz Nord vom 13.4.2007
In der Traufe
Ein Großteil der professionellen MusikerInnen-Szene ist von Kresniks Wasserschaden existenziell betroffen

"Wir drehen die Hähne auf", plakatiert das Bremer Theater seit kurzem an Litfaßsäulen - eine Anspielung des künftigen Intendanten Hans-Joachim Frey auf sein neues Logo. Vertreter der Musikerszene finden das Wortspiel derzeit allerdings alles andere als lustig. Die Folgen des gigantischen Wasserschadens, der durch den Mauerbruch bei Hans Kresniks "Amerika"-Inszenierung vorgestern im Güterbahnhof entstand, könnte vielen von ihnen die berufliche Existenz kosten.
Rund drei Viertel der professionellen Pop-, Rock-, Jazz- und Elektroszene haben ihre Probenräume seit einigen Jahren im Güterbahnhof. Hintergrund ist die flächendeckende Vertreibung der MusikerInnen aus den Bremer Bunkern, die früher schall- und preisgünstige Proberäume waren. An die 100 MusikerInnen nutzen mittlerweile den Keller im Kopfbau des Güterbahnhofs, die 20 Räume mit Größen zwischen 20 und 70 Quadratmetern sind meist mehrfach belegt. Auch drei größere Tonstudios hatten dort ihr Domizil.
" Jetzt ist hier absoluter Kahlschlag", sagt Peter Apel vom "Verein 23". Er hat den Wassereinbruch Mittwochmorgen live erlebt - heftige Stromschläge inklusive, da seine Studioräume voll mit eingeschaltetem Equipment standen. Insbesondere das Verhalten der zur Schadensschätzung angereisten Versicherungsverteter sei extrem demütigend. Apel: "Der erste Spruch war: Musiker wollen doch sowieso immer betrügen." Unter anderem sechzig Verstärker, fünfzehn Schlagzeuge und dreißig Tasteninstrumente werden derzeit begutachtet - laut Apel extrem oberflächlich. "Wenn nicht noch das Wasser aus der Gitarre läuft, gilt sie als unbeschädigt."
Für die Betroffenen sei der Unfall in der Tat "sehr bitter" sagt Frank Schümann, Sprecher des Bremer Theaters. Deswegen sei auch sofort mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen worden, etwa bei der Zwischenlagerung des Equipments. Dem Theater könne allerdings weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit unterstellt werden, da die Wasserbefüllung baupolizeilich genehmigt gewesen sei. Zur Klärung weiterer Hilfsangebote werde am Montag ein Treffen zwischen Intendant Klaus Pierwoß und den Betroffenen stattfinden. HB

 

Bremer Tageszeitungen vom 13.4.2007
80 Musiker sind schwer geschockt
BREMEN. Peter Apel sitzt immer noch der Schreck in den Gliedern. "Ich hatte die Nacht durchgearbeitet und mich gerade ein bisschen hingelegt, als das Wasser hereinschoss", berichtet der Musiker. "Ich bekam einige Stromschläge ab und bin froh, dass ich überhaupt noch lebe."Nicht alle haben die vom Bremer Theater ausgelöste Flutwelle am frühen Mittwochmorgen so dramatisch erlebt. Doch die meisten sind geschockt: Viele Instrumente und Anlagen sind untauglich, seit der künstliche Graben im Güterbahnhof für das Theaterstück "Amerika" von Regisseur Johann Kresnik ausgelaufen und rund 20 Studios vom "Verein 23" im Keller der ehemaligen Güter- und Zollabfertigung unter Wasser gesetzt hat. Betroffen sind nach Angaben des Vereins etwa 80 Musiker und Kulturschaffende. Etliche in ihrer Existenz.Wie berichtet, war die dünne Ziegelwand eines gefluteten Gleisbettes auf 100 Metern Länge gebrochen, weil der Statiker des Bremer Theaters an dieser Stelle keine Probebohrungen vorgenommen hatte. Rund 700 000 Liter Wasser, in denen eigentlich Kresniks Figuren schippern und schwimmen sollten, ergossen sich in das Gebäude und bis zum Findorff-Tunnel.Beim Theater ist man um Schadensbegrenzung bemüht und hat den Verein für Montag zu einem Gespräch eingeladen. Die Instrumente können vorerst am Goetheplatz eingelagert werden, und für die heimatlosen Bands bemüht man sich um Proberäume. Regisseur Johann Kresnik selbst nimmt das Malheur gelassen: "Die Einwanderer in Amerika hatten ja auch einige Schwierigkeiten zu überwinden." Damit spielt er auf die Vorlage des Stücks an, einen Auswanderer-Roman von Franz Kafka.Inzwischen hat er die Szenen mit dem Wassergraben umgeschrieben und zur öffentlichen Voraufführung gestern Abend stattdessen die geborstene Mauer eingearbeitet. Die Premiere am Sonnabendabend ist längst ausverkauft, insgesamt sind 25 Bremer Aufführungen von "Amerika" vorgesehen.Für die Schadensermittler der Versicherung des Theaters gibt es viel zu tun. Sie müssen Stück für Stück festlegen, welches Instrument oder welche Anlage durch die Nässe unbrauchbar geworden ist oder repariert werden kann. Peter Apel: "Wenn eine Gitarre im Wasser gelegen hat, dann ist sie dahin." Damit alles seinen rechten Gang geht, hat sich der Verein gestern einen Anwalt genommen.

 

taz Nord vom 13.4.2007
Premiere mit Hindernissen: Amerika
Und sie findet doch am Samstag statt: die Premiere von Johan Kresniks "Amerika" nach Franz Kafka. Ein am Mittwoch geborstenes Bassin konnte den Gang der Dinge nicht aufhalten.

Mit sechzehn Jahren wird Karl Roßmann von seinen Eltern nach Amerika geschickt. Er flieht vor den Folgen einer Liebesaffäre, die Karls Familie um ihren guten Ruf fürchten lässt. Amerika, das ist für den jungen Karl das Land des Fortschritts und der Vorurteilslosigkeit, in dem Erfolg nicht auf Herkunft basiert, sondern auf Tüchtigkeit und Fleiß.
Doch bereits auf der Überfahrt erlebt Roßmann die erste Enttäuschung, denn auch auf dem Schiff geht, wie in der alten Welt, Hierarchie über Gerechtigkeit. Diese Grunderfahrung von Ungerechtigkeit wird Karl auf den verschiedenen Stationen seiner Reise verfolgen. Lediglich am Ende des Romans, der ursprünglich den Titel "Der Verschollene" tragen sollte, lässt Kafka die Möglichkeit einer anderen, besseren Welt in Gestalt des Naturtheaters von Oklahoma aufscheinen.
Schon am Freitag wird die Begleitausstellung des Künstlerhauses Güterabfertigung eröffnet. Zum Thema "Amerika" sind Werke aus Malerei, Holzskulptur, Fotografie, Installation und Video von Künstlern der Güterabfertigung zu sehen. Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven zeigt den "Kofferberg" und bietet überdies ein umfangreiches Begleitprogramm an.
Ausstellungseröffnung: Freitag, 20 Uhr; Premiere "Amerika": Samstag, 20.30 Uhr, Güterbahnhof, Gleishallen

 

taz Nord vom 12.4.2007
Der Altmeister sprengt die Grenzen
Kurz vor der Premiere sorgt Johann Kresniks Kafka-Spektakel im stillgelegten Bremer Güterbahnhof für einen großen Knall und fordert Opfer in der freien Szene: Unter dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist ein zum Bassin umfunktioniertes Gleisbett geplatzt
Kurz vor der Premiere hat sich die Spannung entladen. Mitten in der Nacht. "Das muss ein Knall wie von einer Bombe gewesen sein", sagt der technische Direktor des Bremer Theaters, Matthias Nitsche. Die Kellerräume, in denen Musiker der freien Szene Proberäume und Studios betreiben, waren sofort geflutet, noch am Vormittag war eine benachbarte Unterführung überschwemmt: Unter dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist im Bremer Güterbahnhof eine Trennwand zwischen zwei Gleisbetten eingestürzt.
Zum Bassin umfunktioniert war sie Teil der Kulisse für die szenische Fassung von Kafkas Romanfragment "Amerika". Copyright: Johann Kresnik, bekannt durch sein Tanz-Theater, das Grenzen auslotet. Früher auch gedankliche. Zuletzt aber in erster Linie physikalische - und haushalterische: In Bonn, wo er seit drei Jahren als Hauschoreograf wirkt, hat sich die Platzausnutzung halbiert und von den überregionalen Feuilletons nimmt allein die ihm in treuem Hass verbundene F.A.Z. noch regelmäßig seine Bombastik-Shows wahr. Um sie mit beißendem Spott zu überziehen. In Bremen, wo er einst, Ende der 1960er Jahre, das politische Tanztheater erfand - und das war wirklich eine Bühnenrevolution -, zogen seine Inszenierungen jedoch immer ihr Publikum: Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" im U-Boot-Bunker Valentin, die erregt von der regionalen Geistlichkeit vorab diskutierten "Zehn Gebote" - das waren Triumphe der Amtszeit von Generalintendant Klaus Pierwoß. Und Kresniks Kafka-Paraphrase hat der als vorletzte Premiere und letzten großen Knaller seiner Ära fest eingeplant. Für Schlagzeilen hat sie immerhin schon gesorgt.
Kisten werden hochgeschleppt, Bongos, Schlagzeuge, Anlagen, Mischpulte, die Sachen stapeln sich wild im Hof, ein großer Laster wird beladen. Im Kellerflur dröhnen drei Nass-Sauger, der Estrich ist feucht. Der Gang durch die kleinen Räume, wo Auslegware den Schall dämpft, gleicht dem über eine Feuchtwiese: Bei jedem Schritt tritt Wasser aus dem Boden.
Am Morgen, sagt Carlos, der hier ein Tonstudio hatte, sei er durch die Brühe gewatet. Bis drei Uhr in der Nacht war er noch mit Samplen beschäftigt gewesen, als er dann um zehn wiederkam "dacht' ich, die Hütte ist abgebrannt". Er war ohnehin eher genervt von den Theaterleuten: Das Hin und Her mit schwerem Gerät, eine Etage höher, verträgt sich nicht mit Tonaufnahmen. Damit aber verdient Carlos seinen Lebensunterhalt.
Er gilt so ein bisschen als der wilde Mann hier, aber davon ist gar nichts zu merken: Carlos wütet nicht, er schimpft nicht einmal, flucht höchstens vor sich hin und die Augen sind geweitet. "Das ist meine ganze Existenz", sagt er.
" Unsere Sachen", stellt Theatertechniker Nitsche fest, "haben gehalten." Nur eben die Wand nicht: Die sah aus wie durchgemauert. Einen Hohlraum hatte niemand dort vermutet, auch die Baupolizei nicht, die grünes Licht gegeben hatte fürs Einrichten des Bassins. Ein Fall für die Versicherung.
Weggesprengt liegen Backsteine im Schacht. Pfützen glänzen auf der schwarzen Plane. Ein dunkles Boot, das bei der Aufführung durch den Kanal gondeln sollte, liegt leicht schräg, als wäre Ebbe. Gerade war die Bauaufsicht wieder da: Proben und Aufführungen sind genehmigt. Und Kresnik? "Dann verzichten wir halt aufs Wasser", hat der sofort entschieden. Und festgestellt, dass "die Baustelle als Kulisse auch geeignet" sei. Furztrocken.

 

 Radio Bremen, Regional-Meldungen, 11. April 2007, 15.34 Uhr
"Amerika"-Proben nach Wasserschaden unterbrochen
Das Ensemble des Theaterstücks "Amerika" hat die Proben im stillgelegten Bremer Güterbahnhof unterbrochen. Grund ist ein Wasserschaden. Regisseur Kresnik hatte ein 200 mal vier Meter langes Schienenbett fluten lassen. Eine Seitenwand hielt dem Druck aber nicht Stand und zerbarst auf einer Länge von etwa 100 Metern. Rund 160.000 Liter Wasser liefen aus und setzten unter anderem den Findorfftunnel kurzzeitig unter Wasser.

 

taz Nord vom 5.4.2007
Krafttheater zum Letzen
Mit Intendant Klaus Pierwoß verlässt auch der österreichische Theaterprovokateur Hans Kresnik Bremen - allerdings nicht ohne eine letzte Inszenierung: "Amerika" spielt im still gelegten Güterbahnhof, auf dem Boden liegen ausgeweidete Schweine
Der bremische Güterbahnhof ist der richtige Ort für die vermutlich letzte Inszenierung des Theaterprovokateurs Hans Kresnik in Bremen. Schon die Pressekonferenz vor Ort erlaubt Vorahnungen: 170 mal 70 Meter groß ist der Raum, tiefer liegend drei Schienenspuren. Eine Spur ist mit Folie ausgelegt, auf den drei Bahnsteigen: Schiffe, die amerikanische Freiheitsstatue, Möbellager, ausgeweidete Schweine, von denen die Innereien am Boden liegen, Autowracks, ausgestopfte Tiere lebensgroß. Wie Kresniks Bremer Inszenierung von "Letzte Tage der Menschheit" wird das Publikum auch in "Amerika" das Theater erwandern müssen.
Eigentlich hatte Peter Greenaway den Güterbahnhof mit der Bremer Shakespeare Company für die Kulturhauptstadt-Bewerbung Bremens bespielen wollen, doch nachdem es mit der Kulturhauptstadt nichts wurde, sagte Greenaway ab. Doch dank Kresnik freut sich der Bremer Generalintendant Klaus Pierwoß nun zum Ende seiner letzten Spielzeit auf einen "Kraftakt mit besonderen Härtegraden". Zwölf Schauspieler werden im Güterbahnhof dabei sein, 20 Statisten und vier Musiker. Der Librettist Christoph Klimke hat eine Fassung des Kafka-Romans erarbeitet, die den Brennpunkt Amerika heute miteinbezieht. Schon Kafkas glückloser Auswanderer Karl Roßmann durchwandert ein Amerika, in dem Gesetz und Gerechtigkeit nie zusammen fallen. Am Schluss des Romans trifft Karl auf das Naturtheater Oklahoma, das ihm neue Hoffnung gibt. Der bremische Schluss wird überraschend anders, verraten wird aber noch nichts. Die Musik für Kresniks Inszenierung liefert der amerikanische Komponist James Reynolds, die vier Musiker tragen Kostüme und sind in das Geschehen involviert.
Die künstlerische Spur, die Hans Kresnik in vielen Jahren in Bremen hinterlassen hat, wird mit dieser Inszenierung wohl erst einmal enden. Bremen profitierte von der produktiven Verbindung zwischen dem österreichischen Künstler und dem Intendanten Pierwoß. Kresniks bildmächtigen Inszenierungen wie "Ulrike Meinhof", "Macbeth", "Sylvia Plath" oder auch "Vogeler", die er bis 1994 als Leiter des Bremer Tanztheaters lieferte, folgten Projekte wie die Operninszenierungen von Ludwig van Beethovens "Fidelio" - das er in der untergehenden Werft spielen ließ - und Luigi Nonos "Intolleranza". Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" richtete er im Bunker Farge aus, "Die zehn Gebote" in der Friedenskirche.
Man mag über Kresnik denken, was man will - er hat wegen seiner häufig plakativen Art und seinem Griff in die Effektkiste nicht ganz zu Unrecht viel Schelte bekommen. Dennoch lässt Kresnik zumindest keine Langeweile aufkommen. Sein Theater ist leidenschaftlich, seine Einfälle sind explosiv, und seine Obsessionen scheinen keine Grenzen zu kennen.
25 Vorstellungen von "Amerika" wird es geben, am 13. Juli ist dann definitiv Schluss. Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven wird zum Stück Ausstellungen und Vorträge organisieren, auch die Uni Bremen, der Verein 23 und die Landeszentrale für politische Bildung arbeiten an Beiprogrammen zum Stück. Um das Wandern des Publikums zu üben, lädt das Theater Bremen vor der Premiere zu zwei Voraufführungen ein. 350 BesucherInnen werden hereingelassen. UTE SCHALZ-LAURENZE
Voraufführungen: 10. und 12. April, Premiere: 14. April, Güterbahnhof Bremen


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