Sonntags-Kurier vom
22.07.07
Die
Musiker sorgen für sich selbst
BREMEN (CHE). Wir erinnern uns: im April wurden die Probenräumen
von vielen Bremer Musikern - von 80 ist die Rede - auf dem Gelände
des Güterbahnhofs unter Wasser gesetzt, weil Johann Kresnik
dort "Amerika" inszenierte, dazu viel Wasser benötigte,
das aber nicht dort blieb, wo es bleiben sollte. Der Schaden war
groß, die Versicherung zahlt wohl nur einen Teilbetrag.
Dokument der Bremer Szene
So griffen die Musiker zum Rettungsring "Benefiz-CD", deren Einnahmen
zur Wiederbeschaffung der zerstörten Geräte und Instrumente verwendet
werden sollen. Das Album trägt den hübsch doppeldeutigen Titel "Hahn
aufdrehn!", womit eben nicht nur die Flutwelle, sondern auch der Geldhahn
gemeint ist. Wer seinen privaten Geldhahn ein wenig "aufdreht", bekommt
ein Dokument der Bremer Szene. Dabei wird er womöglich erstaunt feststellen,
wie viele und wie viel unterschiedliche Musiker und Bands sich im Güterbahnhof
eingenistet haben.
21 ganz verschiedene Bands
Die CD mit über einer Stunde Spielzeit versammelt 21 Bands aller möglicher
Stilrichtungen: Folk, Heavy Metal, Rootsrock, Liedermacher, Rockabilly, Punk
und Psycho-Attacken. Die Bandbreite reicht von den Ariolas bis zu Zaches & Zinnober,
von den Rock'n'Rollern Larry & The Handjive mit ihrem Gast Tony Sheridan
bis zum Szenemotor Peter Apel, der bei Bands wie Electric Family, Surfin’ Mo-Tones,
Telstars und den Ariolas mitwirkt. Dabei ist auch die Rockabilly-Band The Wild
Black Jets, die mit Altmeister Alvin Stardust rocken, und die junge Ska-Punk-Beat-Kapelle
Mad Monks. Selbstverständlich sind auch Michael Zachcial und seine Grenzgänger
mit von der Partie, schließlich hat er mit seinem Müller-Lüdenscheidt-Verlag
das Werk unter Mithilfe des Dub City Tonstudios realisiert. Wie gesagt, ein hübsches
Dokument, für das man ruhig mal den "Hahn aufdrehn!" kann. Zu
beziehen ist die CD über www.bettlerbankett.de - wie passend!
Bremer
Tageszeitungen vom 19.07.07
Benefiz-CD für Wassergeschädigte
BAHNHOFSVORSTADT (XKN). Der Schaden ist groß, Peter Apels Zorn
auch. Nachdem das Künstlerhaus "Güterabfertigung" von
Theaterregisseur Johann Kresnik irrtümlich geflutet wurde, ist
jetzt die Benefiz-CD "Hahn aufdrehn" erschienen. Der Erlös
ist für die geschädigten Musiker bestimmt. Die Scheibe
bietet einen Querschnitt durch die Bremer Musikszene, von Metal über
Ska, Rockabilly, Rock und Pop bis Folk.
Betroffene der Überflutung sind dabei, die anderen haben aus Solidarität
Songs beigesteuert. Unter den Interpreten sind auch einige über die Grenzen
Bremen hinaus bekannte Acts wie etwa President Evil, Mad Monks, Electric Family,
Alvin Stardust oder Tony Sheridan. "Obwohl nun die Renovierung weitestgehend
abgeschlossen ist und es für die meisten finanziell nicht ganz so katastrophal
verlaufen ist, wie befürchtet, hat nur ein Bruchteil der Musiker bisher überhaupt
Geld von der Versicherung erhalten", sagt Apel. "Unterstützung
ist also immer noch dringend nötig."
Die CD kostet zwölf Euro (plus zwei Euro bei Versand). Es gibt sie in einigen
Geschäften im Viertel und sie kann auch über Peter Apel bezogen werden:
mail@peterapel.de, Telefon 1 65 36 86. Nähere Informationen
im Internet www.bettlerbankett.de/hahnaufdrehn.
Benefiz-CD nach Wasserschaden
FINDORFF (XKN). Nachdem das Künstlerhaus "Güterabfertigung" am
Bremer Güterbahnhof im April wegen eines Theaterprojekts vom Wasser überflutet
wurde, ist jetzt eine Benefiz-CD mit dem Namen "Hahn aufdrehn" erschienen,
deren Erlös ausschließlich für die geschädigten Musiker
bestimmt ist. Der Sampler bietet einen Querschnitt durch die Bremer Musikszene,
von Metal über Ska, Rockabilly, Rock und Pop bis Folk. Viele Bands sind
direkte Betroffene der Überflutung gewesen, die anderen haben aus Solidarität
Songs beigesteuert. Unter den Bands sind auch einige über die Grenzen
Bremen hinaus bekannte Acts wie etwa President Evil, Mad Monks, Electric Family,
Alvin
Stardust oder Tony Sheridan.
"Der Erlös geht ausnahmslos an die geschädigten Musiker. Obwohl
nun die Renovierung weitestgehend abgeschlossen ist und es für die meisten
finanziell nicht ganz so katastrophal verlaufen ist, wie befürchtet, hat
nur ein Bruchteil der Musiker bisher überhaupt Geld von der Versicherung
erhalten, viele mussten sich Geld von Bekannten oder Verwandten leihen oder Darlehen
aufnehmen. Unterstützung ist also immer noch dringend nötig",
berichtet der Musiker Peter Apel vom Projekt-Studio und der Musikschule "tonbetrieb".
Die CD mit einer Spielzeit von rund 71 Minuten kostet zwölf Euro (plus zwei
Euro bei Versand). Es gibt sie in ausgewählten Bremer Musik-Läden;
sie kann auch über das Internet erworben werden: http://chanson.de/catalog/product_info.php?products_id=274.
Außerdem kann "Hahn aufdrehn" auch bei Peter Apel bezogen werden,
auf Wunsch mit Signatur: mail@peterapel.de, Telefon 1 65 36 86.
Nähere Informationen im Internet www.bettlerbankett.de/hahnaufdrehn.
Taz
7.7.2007 HENNIN
BLEYL
Nasses
Kunstnomadentum
Die Musikszene hofft auf ein Domizil in der
Vahr, die gebeutelten Güterbahnhöfler
haben eine Selbsthilfe-CD produziert
Für die vielfältig geplagte Bremer Musikszene gibt es ein
paar Hoffnungsschimmer. Die rund 300 Musikerinnen, die vor fünf
Wochen das Postamt 5 räumen
mussten, haben gute Chancen auf ein Ausweichquartier in der Vahr:
Zwei Gebäude der
Schule OttoBraunStraße stehen leer. Sie sind zwar bei weitem
nicht so günstig gelegen wie das
BahnhofsPostamt. in dem der Kirchentag Quartier nimmt. „Aber
wir sind ja nicht verwöhnt", sagt Lars Friedrichs von den
derzeit obdachlosen „TekFu".
Die von der Gesellschaft für Bremer Immobilien (GBI) angebotene
Alternative wäre jedenfalls nicht einladender: Ein Trakt in
der leer stehenden Vollzugsanstalt Blockland. Statt Zellen zu 8,63
Quadratmetern (Friedrichs: „Wir hätten
auch Wanddurchbrüche planen dürfen") könnten
bald 24 Schulräume zwischen
17 und 70 Quadratmetern zur Verfügung stehen wenn die Mietverhandlungen
abgeschlossen sind. Auch ein SchallGutachten ist noch in Arbeit,
ein genügender Schallschutz
für die Anwohnerinnen zeichnet sich laut Friedrichs, der die
Gründung eines MusikerVereins
vorantreibt, jedoch bereits ab. Akustische Interferenzen innerhalb
der Häuser fürchtet
der Gitarrist nicht: „
Im Postamt hatten wir auch nur Rigipswände da fielen schon mal
die Gläser aus dem
Regal, wenn die Nachbarn loslegten. Vor Ort scheint es wenig
Vorbehalte gegen die lautstarken künftigen
Mitbewohnerinnen zu geben. Ortsamtsleiter Werner Mühl steht dem
Vorhaben offen gegenüber, ebenso die
Betreiber der Evangelischen Bekenntnisschule die allerdings hat
2009 ein Vorkaufsrecht für die Gebäude, um ihren Unterricht ausweiten
zu können.
Selbst solche kurzfristigen Optionen sind für die Szene angesichts
chronischer Raumknappheit wertvoll. Die etwa 100 Musikerinnen im
Keller des Güterbahnhofs, geschädigt vom Wassereinbruch
im Rahmen der „Amerika-Inszenierung,
sind derweil zur Selbsthilfe geschritten. Da nach wie vor unklar
ist, ob und in welcher Höhe die Versicherung für den auf
etwa 100.000 Euro geschätzten
Schaden aufkommt, haben sie nun eine BenefizCD mit dem beziehungsreichen
Titel „Hahn aufdrehen" produziert.
Der Sampler könnte mit seiner 1oooerAuflage durchaus zur Lösung
der finanziellen Probleme beitragen nebenbei bietet er einen spannenden Überblick über
die musikalische Bandbreite von 22 Güterbahnhof-Bands.
CD-Bezug (12 Euro): Unter anderem „Ear", Hot-Shot-Records",
Ostertor-Buchhandlung.
Informationen über die ehemaligen Postamt-Bands: www.pa5.de.vu
taz
7.7.07 KOMMENTAR
VON HENNING BLEYL
Freie
Musikszene - Ein Fall von Vernachlässigung
Die freie Musikszene ist das Stiefkind der Bremer
Kulturpolitik. Wobei „Stiefkind"missverständlich ist: Es geht unter
anderem um die Existenz in Ehren ergrauter Profis,die sich durch
eine Mischung aus Gig, Unterricht und Lebenskunst über
Wasser halten.Und der Stadt damit einen ebenso reichhaltigen wie
im besten Sinnen bodenständigen Kultur-Input bescheren.
Mit diesem kreativen Klientel ist Bremen oft mehr als spröde
umgesprungen. Bis heutehat die Kulturbehörde ihr Versprechen
nicht erfüllt, die
Bunker für den Probebetrieb nachzurüsten -nachdem die Bands
aus Brandschutzgründen
Knall auf Fall, nach 15 lahren anstandsloser Nutzung, vertrieben
wurden. Lediglich die Erdgeschosse sind wieder
freigegeben - also ein Viertel der früheren Fläche. Bernd
Neumann, der komissarische Amtsleiter, setzt sich jetzt produktiv
für ein Ausweichquartier
in der Vahr ein - aber das ebenso schlichte wie fundamentale Manko
der Bremer Musikförderung
schlägt immer wieder durch: Niemand ist wirklich zuständig.
Das verwaiste Referat ird seit vielen lahren
positiv ausgedrückt - „mitverwaltet" Nun sind die
traditionell schlecht organisierten Musikerinnen auch keine Spezies,
die sich auf den Aufbau einer schlagkräftigen
Lobby versteht. Was sie brauchen, sind ja auch keine unmittelbaren
Subventionen oder zentralisierte Strukturen - sondern Rahmenbedingungen,
die laute Musik erlauben. Dafür
müsste die Stadt in ihrem Leerstands-Bauchladen eigentlich
nicht allzu lange kramen
taz
Nord vom 12.6.2007 (Interview), JANA WAGNER
" Ich
vermisse den Dialog"
Generalintendant Klaus Pierwoß bekommt aus dem Güterbahnhof
keinen Orden - aber ein Andenken
taz: Sie ehren den scheidenden Generalintendanten Klaus Pierwoß heute
mit einem Kunstobjekt. Warum?
Peter Apel, Musiker: Er bekommt eine Erinnerungsskulptur für
das Wasserschaden-Event im April im Güterbahnhof. Da hatte die
Bühne des Stückes "Amerika" nicht gehalten und
die Räume der Musiker im Keller waren geflutet worden. Viele
unwiederbringliche Sachen sind dabei untergegangen. Bei mir waren
es Tonarchive.
Sie treten also nach?
Nein. Aber ich weigere mich weiter als Opfer in der Ecke zu stehen.
Deswegen werde ich aktiv mit einer Kunstperformance. Meine Kollegen
und ich sind, waren oder werden auch weiterhin Lohnsklaven des
Theaters sein.…
…
weil Sie für bestimmte Produktionen engagiert werden…?
Ja. In diesem Falls suche ich aber einen Weg, der auch meiner
Befindlichkeit entspricht. Wir sind ja sogar noch von Kresnik,
der das Stück
inszeniert hat, mit dummen Sprüchen abgefertigt worden!
Es gibt auch bis heute keine offizielle Entschuldigung vom Theater.
Aber das Theater hat Sie doch auch unterstützt...
Wir haben auch selbst eine CD gemacht: "Hahn aufdrehen".
Und vom Theater haben wir die Einnahmen aus einer Amerika-Vorstellung
bekommen. Aber der Schaden ist im Vergleich dazu viel zu groß.
Ganz ehrlich: Das Theater will mit solchen Benefizaktionen doch
nur in die Presse.
Was hatten Sie denn erwartet?
Weniger Formalitäten. Mich hat die Unter-den-Tisch-Kehrerei
erstaunt: Als das Ganze passiert war, dachte ich, dass einem irgendjemand
einen Notgroschen gibt. Später habe ich dann wenigstens Gespräche
erwartet - aber die gab es nur in Form einer Vorladung, die sehr
unerfreulich lief. Das Theater hat wohl so viele Probleme, dass es
sich nicht darum kümmern kann. Ich bin nicht böse.
Aber ich vermisse den Dialog!
Infos zur CD: www.bettlerbankett.de
Pressemitteilung
von Peter Apel vom 06. Junil 2007
O-Ton
Apel: "Lieber Herr Pierwoß..."
In Zeiten großer Gesten und symbolreicher
Benefizveranstaltungen seitens des Bremer Theaters - zugunsten
der im April gefluteten
Freien Bremer Musikszene
- offeriert Peter Apel als einer der Hauptbetroffenen des Kresnikschen
Wasserdesasters eine Dankesgabe:
Peter Apel schenkt Herrn Generalintendant Prof. Dr. Klaus
Pierwoß eine Erinnerungs-skulptur zum wässrigem Event
vom 11.04.07 (Künstlerhaus Güterabfertigung, Kresnik-Spektakel "Amerika").
Der
Bremer Musiker und Komponist möchte sich damit für die
gelungene Reality-Regie des Bremer Theater in seinem Leben und Werk
sowie für die Chance eines dramatischen Neuanfanges in der
reifen Lebensmitte erkenntlich zeigen.
Das
tiefblaue transparente Kunstobjekt - nach Apels Vorgaben von
dem friesischen Gießharzkünstler Theodorus Anton Pier kreiert,
bietet durch seine Form, die an ein überdimensioniertes Überraschungs-Ei
erinnert, und durch die verarbeiteten Materialien (Schrott, Muscheln,
Kristalle) viele Assoziations-möglichkeiten für erkenntnisreiche
Meditationen über Themen wie Wandel, Fluß, Vergänglichkeit
und Perfektion.
Der
bitteren Klage über den Verlust seines Ton- und Bildarchiv aus
20 Jahren künstlerischer selbständiger Arbeit überdrüssig
geht Apel den Schritt nach vorne und erklärt sich selbst zum
gelungenen Echtzeit-Schauspiel (Titel: Amerikarggedon) eines nach
Kafkaeskem schielenden Inszenörs.... und das ist schon ein DANKE
wert.
O-Ton Apel: " Lieber Herr Pierwoß, bitte nehmen Sie mein Geschenk
an, es kommt vom Herzen. Ich möchte es Ihnen zu Ihrer Bundesverdienstkreuzverleihung
- zusammen mit meinem Hörstück "Deiche brechen nie, nur manchmal" -
am 12.06.07 überreichen dürfen. Vielen Dank für Ihre rasante
Dramaturgie und das so wunderbar lebensnahe Libretto. Es hat mein Leben und
Schaffen radikal umgeschrieben. Mit freundlichem Gruß, Ihr Peter Apel"
PETER
APEL ......Gitarrist - Komponist -
Performer
Projekt-Studio / Privat-Musikschule "tonbetrieb" im Künstlerhaus
Güterabfertigung
Am Güterbahnhof, 28195 Bremen
taz
Nord vom 4.6.2007 (betr.
nicht direkt den Wasserschaden)
"...nicht
vom Kultursenator"
Der scheidende Generalintendant des Bremer Theaters, Klaus Pierwoß,
erzählt von den bittersten Erfahrungen seiner Amtszeit und warum
und von wem er das Bundesverdienstkreuz annimmt
Interview von Benno Schirrmeister
taz: Als letzte Opernpremiere Ihrer Intendanz gab es Wagner.
Aber nicht "Die
Götterdämmerung". Sondern "Tristan und Isolde",
Liebestod - und Verklärung. Wie darf man das verstehen?
Klaus Pierwoß: Ursprünglich hatten wir ein anderes Werk geplant: "Schwarzerde" von
Klaus Huber. Es war uns aber unter den Umständen der Insolvenz-Androhung
zu unsicher, ob sich dieses Stück angemessen realisieren lässt.
Dann wurde als Alternative "Tristan und Isolde" in die
Diskussion geworfen. Das hat keine tiefere Symbolik.
Versöhnlich wirkt aber, dass Sie sich am 12. Juni das Bundesverdienstkreuz
anhängen lassen - nach 13 Jahren Streit mit
Es war kein pausenloser Streit. Von den acht Senatorinnen und Senatoren,
die ich in der Zeit erlebt habe, muss ich zwei ausdrücklich
davon ausnehmen, mit denen ich die Arbeit als durchaus partnerschaftlich
empfunden habe.
Wen?
Helga Trüpel und Kuno Böse. Bei den anderen sechs hat sich
der Streit wie ein roter Faden durch die Zusammenarbeit gezogen. Und
es ist keineswegs so, dass ich das verdrängt hätte. Im Gegenteil.
Als wir an diesem dicken Buch zu meiner Intendanz gearbeitet haben - über
das sich Herr Kastendiek dem Vernehmen nach sehr echauffiert hat
- ist das alles noch einmal hochgekommen.
Welche Erfahrungen waren die bittersten?
Es gab zwei Situationen, die mir auch persönlich sehr zu schaffen
gemacht haben: Dass man in der zweiten und in der zwölften Spielzeit
Veranstaltungen gegen den Theatertod machen muss -das hat mich sehr durchgerüttelt.
Die Insolvenzandrohung in der vergangenen Spielzeit hat mich richtig
deprimiert.
Und trotzdem nehmen Sie den Orden an?
Ja. Ich habe darüber nachgedacht. Diese Ordensverleihung geht zurück
auf eine Initiative der Gegner meiner Gegner
will sagen: persönlichen Freunde?
Nein. Wenn das eine Freundschaftshuberei wäre, dann hätte ich daran
kein Interesse. Die Initiative geht aus von den Sympathisanten unserer Arbeit.
Zudem wird der Orden nicht von der Stadt, sondern vom Bundespräsidenten
verliehen. Und nicht vom Kultursenator überreicht, sondern vom Ministerpräsidenten,
also Jens Böhrnsen, zu dem ich, wie zu seinem Vorgänger, ein positiv
besetztes Verhältnis habe. Außerdem hebt die Begründung für
die Ordensverleihung ausdrücklich anerkennend hervor, dass ich mich
immer wieder in Auseinandersetzungen mit dem Senat begeben habe.
Die Widerborstigkeit der Kulturszene hat allerdings nachgelassen
Ich habe als Einziger öffentlich kritisiert, dass es die Breminale nicht
mehr gibt, dass es das Tanzfestival nicht mehr gibt, dass die Weserburg auf der
Kippe steht, dass der Kulturszene zustehende Gelder wegen eines eitlen Machtpokers
zwischen Nußbaum und Kastendiek nicht ausgezahlt wurden, - ein Pflaster
habe ich mir bisher noch nicht auf den Mund kleben lassen.
Aber die anderen Akteure waren früher kämpferischer.
Ich finde es auch für das politische Klima in dieser Stadt fatal, dass sich
andere nicht mehr öffentlich entrüsten. Wenn sich die Kulturszene nicht
mehr durch Interventionen bemerkbar macht, dann bedeutet das eine Talfahrt für
die Kultur. Ohne öffentlichen, kontroversen Diskurs in Bremen wird die Stadt ärmer.
Nur: Ich werde das künftig nicht mehr leisten können.
Trauen Sie Ihrem Nachfolger Hans-Joachim Frey zu, dass er diese Rolle
ausfüllt?
Ich habe diese Rolle nicht aus Vorsatz angenommen. Ich bin in sie gedrängt
worden: Die Situation hat es einfach erfordert, sich zu verteidigen. Also habe
ich versucht, diese Rolle so effektiv wie möglich auszufüllen. Es kommt
nicht darauf an Krawall zu machen, sondern durch die öffentlichen Auseinandersetzungen
den Finger in die Wunden zu legen und etwas Besseres zu erreichen.
Dass das Theater dazu auffordert, die Aufführungen jetzt zu besuchen, so
lange es "in dieser Qualität" noch existiert, hört sich
nach einer Spitze gegen Herrn Frey an.
Wenn mein Nachfolger verkündet, wieder "frischen Wind" in das
Theater bringen zu wollen, dann muss diese Replik erlaubt sein. Wir streichen
ja nur die Vorzüge unserer Theaterarbeit heraus, eine Qualität, die
aus dem Prinzip des Ensemble- und Repertoiretheater resultiert, für das
wir uns sehr bewusst entschieden haben - im Interesse unseres Publikums. Kein
Mensch geht wegen der Dramaturgen oder des Intendanten ins Theater. Für
die Zuschauer sind die Schauspieler, Sänger und Tänzer die Personen,
mit denen sie sich identifizieren. Wenn ich mir die Abgänge aus dem Ensemble
angucke, dann muss ich schon sagen: Bei allem Verständnis für den Willen
zum Neubeginn - das wird für dieses Theater ein empfindlicher Verlust. Deshalb
präsentieren wir noch einmal unsere Stärken.
Bremer
Tageszeitungen vom 25.4.2007
Musiker greifen zur Selbsthilfe
BREMEN. Nach der Flutkatastrophe im Güterbahnhof machen sich zahlreiche
Musiker Sorgen um ihre Zukunft. Wie berichtet, hatten 700 000 Liter
Wasser, die Regisseur Johann Kresnik für sein Theaterstück "Amerika" in
ein altes Gleisbett eingeleitet hatte, die Probenräume der im "Verein
23" organisierten Musiker geflutet.
Die zu erwartenden Zahlungen
der Versicherung werden den tatsächlichen Schaden jedoch kaum abdecken,
verlautete jetzt vom Verein.
Auch die vom Bremer Theater geplante Benefiz-Veranstaltung "stellt
in keiner Form eine ausreichende Schadensregulierung dar", schreiben
die Musiker. "Die entstandenen Kosten des Unfalls bewegen sich im
sechsstelligen Bereich. Die zu erwartenden Zahlungen des Versicherers
werden dies nicht decken."
Die Musiker planen daher in Zusammenarbeit
mit einem Bremer Musik-Verlag die Veröffentlichung einer CD-Compilation mit dem Titel "Wellenreiter", die noch vor den Sommerferien
in die Läden kommen soll. Der Erlös der Einnahmen geht vollständig
als Wiederaufbauhilfe an die geschädigten Musiker und Tonstudios
des Vereins.Wer den Verein darüber hinaus unterstützen will,
kann auf das Konto (980 543 202) des "Vereins 23" bei der Postbank
Hamburg (200 100 20) spenden. Das Spenden-Kennwort lautet "Rettungsring".
Leserbrief in
taz Nord vom 23.4.2007
Bei
Abnahme etwas schiefgelaufen
betr.: "Ball flach halten", taz Bremen
vom 14. 4.
(...) man kann davon ausgehen, dass bei der
Abnahme des Beckens etwas schiefgelaufen ist.
Wir reden hier von 700 Tonnen Wasser, die natürlich
auch mächtig zur Seite drücken. (…)
Ein direkt Betroffener.
THOMAS MILOWSKI, Bremen
Leserbrief in
taz Nord vom 23.4.2007
Biblische Strafe
betr.: "In
der Traufe", taz Bremen vom 13. 4.
Da sitzt unser Gitarrist Peter Apel in seinem
Studio, arbeitet an Riffs und Melodien für
das nächste Electric Family-Album als
- wie eine biblische Strafe - die nasse Theaterwelle
durch seinen Raum und rund zwanzig weitere
schwappt, Instrumente mit sich reißt
und Existenzen vernichtet. Wo bleibt der kollektive
Aufschrei, Bremen Kulturhauptstadt! (…)
TOM REDECKER, Osterholz-Scharmbeck
Leserbrief in
taz Nord vom 23.4.2007
Kresnik und die britische Szene
betr.: "In der Traufe", taz Bremen
vom 13. 4.
(…) es hat Musiker gegeben, die während
des Wassereinbruchs in ihren Studios waren
und beim nahezu zwecklosem Versuch, zu retten,
was zu retten war, auch noch lebensgefährlichen
Stromschlägen ausgesetzt waren. (…)
Unsere Band ist mitten in einer CD-Produktion
mit dem britischen Pop und Rocksänger
Alvin Stardust. Der Erscheinungstermin wird
sich auf unbestimmte Zeit verzögern, da
Aufnahme-Modifikationen mangels Studioraum
unmöglich geworden sind. So schallt der
Namen Kresnik vielleicht bald auch nach England
(…) TORSTEN GLUSCHKE (Wild Black Jets),
Bremen
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen
vom 22.04.07
Eine
Mauer im alten Gleisbett im Güterbahnhof
hielt dem Druck nicht stand und 700 000
Liter Wasser suchten sich ihren eigenen Weg.
Statt einen künstlichen Kanal zu bilden,
setzen sie auch die Übungsräume von
einem guten Dutzend Bands im Keller unter Wasser,
zerstören Instrumente sowie Verstärkeranlagen
und stürzten Musiker in Existenzängste.
Jetzt verstärkt sich der Druck auf Regisseur
Johann Kresnik und sein Theater. Sie sollen
sich mehr um die Geschädigten kümmern. Für
die Folgen aufkommen
Wenn für solche Spektakel Geld vorhanden ist, dann sollte das Bremer Theater
auch Geld übrig haben, um die Folgen des von Kresniks Inszenierung verursachten
Wasserschadens begleichen zu können. In ihrer realen Existenz bedrohte
Musikschaffende, die seit Jahren kontinuierlich Beiträge zur Bremer Szene
liefern, werden sonst von der Versicherung, wenn überhaupt, mit winzigen
Beträgen abgespeist, obwohl ihr Equipment, ihre Studios und Unterrichtsräume
komplett abgesoffen sind.
Das Bauressort und das Theater weisen beide jegliche Verantwortung von sich,
wenn 700 Tonnen Wasser brüchige Mauern sprengen, die Politik rührt
sich bis jetzt nicht. Das sollte sich schnell ändern.
THOMAS MILOWSKI, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen
vom 22.04.07
Nicht
zu überbieten
Es würde mich interessieren, welcher Art die 700 000 Liter Wasser für
Herrn Kresniks "Amerika"-Inszenierung waren, die dann versickert sind.
Vermutlich handelte es sich um Leitungswasser, oder? Wenn dem so war, dann ist
es an Dekadenz nicht mehr zu überbieten, wenn man in der gleichen Ausgabe
der Zeitung das Bild der Frauen in Südindien sieht, die täglich in
langen Schlangen mit Krügen und Kannen vor Wasserstellen anstehen.
Wir wissen inzwischen alle, dass Wasser zu einem kostbaren und hier zu Lande
auch teuren Gut geworden ist - für Herrn Kresnik gilt das aber offensichtlich
nicht, egal ob der künstliche See Bestand gehabt hätte oder nun versickert
ist. Die so genannte künstlerische Gestaltung schert sich offensichtlich
um gar nichts. ROSEMARIE
WALTHER, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen
vom 22.04.07
Wertschätzung
verloren
Wer zu Zeiten des Klimawandels so dekadent
700 000 Liter Wasser für
eine Inszenierung verschwendet, dem sollte zu Hause mal der Wasserhahn zugedreht
werden, damit er eine Wertschätzung für dieses hohe Gut erfährt.
Alle Welt redet davon, dass die nächsten Kriege um das Wasser gehen werden,
aber wie heißt es doch so schön: Nach mir die Sintflut!
Der andere Aspekt ist die Respektlosigkeit gegenüber den Musikern. Wer
sich ein wenig in der Branche auskennt, der weiß, dass viele Musiker
permanent auf der Suche nach Übungsräumen und zudem häufig knapp
bei Kasse sind. SIBYLLE
M. BALKOW, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Extravaganzen
Jetzt kann ich verstehen, warum Pierwoß der Frage nach den Kosten ausgewichen
ist, wenn auch die Folgekosten nur von jemandem erwartet werden konnten, der
weiß, dass 700 000 Liter Wasser immerhin 700 Tonnen wiegen.
Mich erinnert dieser Fall an den Regisseur, der die Idee hatte, ein Loch in
den Eisernen Vorhang zu schneiden und das Theater durch die freigesetzten Asbestfasern
für Wochen stilllegte. Ich hoffe, dass der neue Intendant solchen Extravaganzen
der Regisseure einen Riegel vorschiebt. HEINZ
HARTMANN, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Nicht nur materielle Werte
Herzlichen Dank für Ihre Berichtserstattung zur Theaterflut. Es sollte
in Ihrer Zeitung kritisch weiter beobachtet und berichtet werden, in welcher
Weise
die durch oberflächliche Stabilitätsprüfung geschädigten
Musiker behandelt werden. Einige der Betroffenen stehen vor einer existenzgefährdenden
Katastrophe.
Es sind nicht nur materielle Werte zerstört worden, sondern auch Produkte
jahrelanger Arbeit: Archive, Festplatten, Noten und Tonbänder.
Sollte jetzt versucht werden, nur den Zeitwert der Instrumente und Einrichtungsgegenstände
zu ersetzen, wäre das ein Skandal. KLAUS
FEY, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Stoff für den Staatsanwalt
Regisseur Johann Kresnik hat im Rahmen seines Güterbahnhof-Tsunamis wahrhaft
kafkaeske Welten inszeniert. Getreu seiner Vorliebe für die Kreation bombastischer
Haupt- und Staatsaktionen, deren eitler Zweck wohl eher darin zu bestehen scheint,
sich selbst immer wieder neue und peinlichere Denkmäler zu setzen, gibt
Kresnik sich nicht mit Kleinigkeiten ab: Die von ihm und seinen Spezialisten
aus der Statik-Abteilung des Theaters verursachten und zu verantwortenden Schäden
werden flugs zur Theaterkulisse umgewidmet, die völlig offenen Schicksale
der rund 80 um ihre kulturelle und ökonomische Existenz bangenden Kulturschaffenden
statt durch unmittelbare materielle Hilfe kaltschnäuzig mit blankem Zynismus
abgefertigt. Originalton Kresnik: "Die Einwanderer in Amerika hatten ja
auch einige Schwierigkeiten zu überwinden".
So einfach scheint das in Bremen zu gehen: Kriminelle Leichtfertigkeit im Kulissenbau,
offenkundige Ignoranz und Schlamperei bei den statischen Vermessungen, Inszenierung
eines Polizeieinsatzes zur Sperrung des Findorff-Tunnels und - als "Kollateralschaden"-
die zynisch in Kauf genommene Traumatisierung der direkt betroffenen und in
Not geratenen Musiker, deren Existenzvernichtung auf einen bloßen "Versicherungsfall" reduziert
wird: Wäre das nicht - frei nach Kafkas Roman "Der Prozess" -
reichhaltiger Stoff für eine strafrechtliche Untersuchung seitens der
Staatsanwaltschaft Bremens? DR.
PETER HINRICHS, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Wo bleibt das Bedauern?
Viele Bremer zeigen viel Verständnis für die betroffenen Musiker. Es
ist mehr als ärgerlich, dass Kresnik noch kein öffentliches Bedauern
für die, durch sein Debakel stark angeschlagene Bremer Musikszene ausgedrückt
hat.
Für mein Empfinden waren da bisher weitgehend eher zynische Kommentare zu
lesen. Nach meiner Information hat es Musiker gegeben, die zum Zeitpunkt des
Wassereinbruchs in ihren Studios und Proberäumen waren und beim nahezu zwecklosen
Versuch, zu retten, was zu retten war, nämlich ihre Existenz, auch noch
lebensgefährlichen Stromschlägen ausgesetzt waren. Als Mitwirkende
der "Bremer Nacht" - unser Equipment war zum Glück teilweise ausgelagert
- hatten auch wir am Sonnabend die Ehre, an unserem Spielort die Bürgermeister
Böhrnsen und Wowereit zu begrüßen. Ich konnte mir aber nicht
verkneifen, uns als "Überbleibsel"der Kresnik-Katastrophe zu bezeichnen.
Herr Böhrnsen hatte es dann leider sehr eilig, zu gehen.
Man hört von weniger Betroffenen, es sollte jetzt kein "Aktionismus" betrieben
werden. Nach meiner Erfahrung hört man dieses immer dann, wenn Interessenkonflikte
bestehen. Allerdings kann es letztlich tatsächlich dazu führen, das
Herr Kresnik und Company von den unschönen Dingen, die der Musikszene
Bremens geschehen sind, auch noch profitierten (kostenlose Negativwerbung).
Leider sind
viele Menschen so. TORSTEN
GLUSCHKE, BREMEN
Leserbrief in
Leserforum/Weser Kurier/Bremer Tageszeitungen vom 22.04.07
Als Kulisse zu gebrauchen
Zynismus kennt keine Verwandten. Hauptsache, das Theater funktioniert noch.
Vielleicht können die Bremer Theater für spätere Kulissen günstige
Musikinstrumente gebrauchen, dazu taugen sie nämlich auch noch, nachdem
sie einmal gebadet haben. Kultur ist nicht nur das, was viel Geld kostet und
absurd auf die Bühne
kommt. Diese aber lebt auf und weiter, die andere ist ertrunken. Liebe Grüße
von einer triefenden Gitarre. CHRISTINA
PLETSCH, BREMEN
Bremer
Tageszeitungen vom 20.4.2007 (betr. nicht
den Wasserschaden)
Bundesverdienstkreuz
für Klaus Pierwoß
Klaus Pierwoß erhält
das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wie gestern die Senatskanzlei mitteilte,
wird der Generalintendant des Bremer Theaters mit dieser Auszeichnung
kurz vor dem Ablauf seiner Amtszeit im Juli diesen Jahres für sein "weit über
das übliche Maß hinausgehende Engagement" geehrt. Dazu
zählt das Rathaus neben seiner "klugen Spielplanpolitik" auch
die "hartnäckigen Verhandlungen" mit
dem Senat um die Etats und den Existenzerhalt des Theaters, in dem
der 64-jährige
Klaus Pierwoß seit 1993 federführend tätig ist. Das
Bundesverdienstkreuz wird dem Intendanten am 12. Juni im Kaminsaal
des Rathauses übergeben.
Verein
23 im Künstlerhaus Güterabfertigung / Die Musiker
vertreten durch: Benjamin Kuhlmann, Peter Apel, Max Gebhardt, Udo Steinmann
Am Güterbahnhof, 28195 Bremen, Tel. 0421/165 36 86
Pressemitteilung
der Musiker des Verein 23 ,
vom 19.04.07
Betr.: Pressemitteilung des Bremer Theaters zum Wasserschaden
11.04.07 Künstlerhaus Güterabfertigung (Johann Kresniks Kafka-Spektakel "Amerika")
Die Geste des Bremer Theaters in Form einer Benefiz-Veranstaltung stellt
in keiner Form eine ausreichende Schadensregulierung dar und ist auch
nicht so gedacht. Die entstandenden Kosten des Unfalls bewegen sich im
sechsstelligen Bereich. Die zu erwartenden Zahlungen des Versicherers
Performa werden dies nicht decken.
Wir sind natürlich dankbar für jede Form der Unterstützung
und freuen uns über dieses erste Zeichen der Verantwortlichen. Aber
auch wir wollen aktiv werden:
1. Das Konto des Verein 23 dient ab sofort als Spendenkonto für
die Geschädigten des bühnenbautechnischen Unfalls des Bremer
Theaters. Wer jetzt den Musikern finanziell unter die Arme greifen will,
kann ab sofort auf das untenstehende Konto überweisen:
Kto. 980 543 202
BLZ 200 100 20
Kreditinstitut: Postbank Hamburg
Verwendungszweck: Rettungsring
Kto.Inhaber: Verein Dreiundzwanzig
2. Die Musiker und Freunde des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung
planen in Zusammenarbeit mit einem bekanten Bremer Musik-Verlag die Veröffentlichung
einer CD-Compilation (Titel "Wellenreiter"), die noch vor den
Sommerferien in den Läden stehen wird. Der Erlös der Einnahmen
geht vollständig als Wiederaufbauhilfe an die geschädigten
Musiker und Tonstudios des Verein 23.
Bremen, 19. 04.07
Die Musiker des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung
Die Musiker des Verein 23 im Künstlerhaus Güterabfertigung
Pressemitteilung der
Musikerinitiative Bremen (MIB) ,
vom 18.04.07
Betr.: Wasserschaden Güterbahnhof/Freie
Musikszene/Bremer Theater
Wir, die Musikerinitiative Bremen (MIB), erklären unsere Verbundenheit
und Solidarität mit der Freien Musikszene im Kulturzentrum Güterbahnhof,
die von dem riesigen, durch die Arbeit des Bremer Theaters vor Ort
entstandenen Wasserschaden betroffen ist. Wir erwarten von den VERANTWORTLICHEN
und VERURSACHERN, daß der entstandene Schaden an Instrumenten,
Räumen, Verdienstausfall, Masterbändern u.a.m. verantwortlich
und angemessen geregelt wird, damit keine Musikerexistenz gefährdet
wird.
Reinhart Hammerschmidt, 1. Vorsitzender der Musikerinitiative Bremen
(MIB)
taz
Nord vom 18.4.2007
Geld für Musiker
Das Bremer Theater stellt den MusikerInnen des Güterbahnhofs die
Einnahmen aus einer Aufführung von "Amerika" zur Verfügung.
Das ist das Ergebnis eines Treffens der Überschwemmungsbetroffenen
mit der Theaterleitung. Die Zahlung sei nicht als Schadensregulierung
zu verstehen, betonte Geschäftsführer Wolfgang Patzelt. Mit
dieser Soforthilfe sei der "Verein 23" "erst mal zufrieden",
sagte dessen Sprecher Christian Just. TAZ
Leserbrief (bisher
unveröffentlicht) an WK
und TAZ, vom 18.04.07d
TAz
Betr.: Berichterstattung über Theaterflut / Wasserschaden
im Güterbahnhof
Herzlichen Dank für Ihre Berichterstattung zur Theaterflut . Es
sollte in Ihrer Zeitung kritisch weiter beobachtet und berichtet werden
, in welcher Weise die durch oberflächliche Stabilitätsprüfung
geschädigten
Musiker behandelt werden.
Einige der Betroffenen stehen vor einer existenzgefährdenden
Katastrophe .
Es sind nicht nur materielle Werte zerstört worden , sondern auch
Produkte jahrelanger Arbeit : Archive , Festplatten , Noten , Bänder
etc.
Sollte jetzt versucht werden , nur den
Zeitwert der Instrumente und Einrichtungsgegenstände zu ersetzen , wäre
das ein Skandal . - Klaus Fey, Bremen
Klaus F
Leserbrief (bisher
unveröffentlicht)
zum WK-Artikel vom 13. April 2007:
„
80 Musiker sind schwer geschockt“ – Johann Kresnik spielt
mit der ungewollten Flut…..“
Regisseur
Johann Kresnik hat im Rahmen seines Güterbahnhof-Tsunamis
wahrhaft kafkaeske Welten inszeniert. Getreu seiner Vorliebe für
die Kreation bombastischer Haupt- und Staatsaktionen, deren eitler
Zweck wohl eher darin zu bestehen scheint, sich selbst immer wieder
neue und peinlichere Denkmäler zu setzen, gibt Kresnik sich nicht
mit Kleinigkeiten ab: Die von ihm und seinen „Spezialisten“ aus
der Statik-Abteilung des Theaters verursachten und zu verantwortenden
Schäden werden flugs zur Theaterkulisse umgewidmet, die völlig
offenen Schicksale der ca. 80 um ihre kulturelle und ökonomische
Existenz bangenden Kulturschaffenden statt durch unmittelbare materielle
Hilfe kaltschnäutzig mit blankem Zynismus abgefertigt (Originalton
Kresnik:“Die Einwanderer in Amerika hatten ja auch einige Schwierigkeiten
zu überwinden“).
So einfach scheint das in Bremen zu gehen: kriminelle Leichtfertigkeit
im Kulissenbau, offenkundige Ignoranz und Schlamperei bei den statischen
Vermessungen, Inszenierung eines (wie teuren?) Polizeieinsatzes zur
Sperrung des Findorff-Tunnels und –als „Kollateralschaden“-
die zynisch in Kauf genommene Traumatisierung der direkt betroffenen
und in Not geratenen Musiker, deren Existenzvernichtung auf einen bloßen „Versicherungsfall“ reduziert
wird: Wäre das nicht - frei nach Kafkas Roman „Der Prozess“ – reichhaltiger
Stoff für eine strafrechtliche Untersuchung seitens der Staatsanwaltschaft
Bremens? - Dr. Peter Hinrichs, Bremen
Bremer
Tageszeitungen vom 17.4.2007 WK-Redakteur
Arno Schupp
Kresnik-Stück
soll Musikern helfen
Theater
plant Benefiz-Aufführung
BREMEN.
Das Bremer Theater will den rund 80 Musikern, die wegen
des Wasserschadens
im Güterbahnhof zum Teil in Existenznot geraten sind, die Einnahmen einer
Vorstellung des Stücks "Amerika" (etwa 6000 bis 7000 Euro) zur
Verfügung stellen. Zudem will die Theaterleitung in der Kulturpolitik um
weitere Unterstützung werben.Zu dem Wasserschaden war es gekommen, nachdem
die Umrandung eines von Regisseur Johann Kresnik gefluteten Gleisbetts gebrochen
war. 700 000 Liter Wasser suchten sich anschließend den Weg
ins Freie und in die Probenkeller der Musiker (wir berichteten). Zwar haben die
Versicherungen bereits Gutachter geschickt, allerdings befürchten die Musiker,
dass das Geld kaum ausreichen wird, um das beschädigte Equipment zu ersetzen.
Zudem, so heißt es, könnten einige Musiker die Zeit bis zur Schadensregulierung
finanziell kaum überbrücken. "Ich habe mir bereits den Zeitpunkt
meiner Insolvenz errechnet", sagt beispielsweise Berufsmusiker Peter Apel. "1.
Juni", lautet seine Prognose. Als Termin für die Benefiz-Aufführung
steht der 9. Juni im Raum.Frank Schümann, Sprecher des Theaters, sieht die
Nöte der Musiker. "Wir sind zwar Verursacher, aber wir haben nicht
fahrlässig gehandelt." Schließlich sei das Gleisbett von Statikern überprüft
worden. Die in dem "Verein 23" organisierten Musiker zeigten sich mit
den gestrigen Gesprächen "erst einmal zufrieden", so Sprecher
Christian Just. "Uns ist in erster Linie wichtig, dass wir in der für
uns sehr schwierigen Situation nicht alleine gelassen werden."
Radio
Bremen TV Buten un Binnen 16.4. Beitrag,
[2'57]
Die
große Flut von Amerika
Fast eine Woche nach der großen Flut im Bremer Güterbahnhof sind 60
Musiker noch immer in ihrer Existenz bedroht. Für die Inszenierung "Amerika" hatte
das Bremer Theater ein Gleisbett fluten lassen. Weil ein Bahnsteig dem Druck
nicht Stand gehalten hatte, war das Wasser in die Probenräume und Studios
der Musiker im Keller geflossen. Das Theater will nun Geld für die
Flutopfer sammeln.
Radio
Bremen 1 - Bericht vom 16.04.2007 mp3
Leserbrief (bisher
unveröffentlicht) vom
16.04.07,
an die TAZ und den Weser-Kurier
"
Neutralisiert" Kultur Kultur?
Viele Bremer sprechen uns z.Zt. an und zeigen viel Verständnis für
die betroffenen Musiker. Es ist mehr als ärgerlich , daß Kresnik
noch kein öffentliches Bedauern für die, durch sein Debakel stark
angeschlagene Bremer Musikszene ausgedrückt hat.
Für mein Empfinden waren da doch bisher weitgehend eher zynische
Kommentare zu lesen ?
Nach meiner Information hat es Musiker gegeben, die zum Zeitpunkt des Wassereinbruchs
in ihren Studios und
Proberäumen waren und beim nahezu zwecklosem Versuch, zu retten, was zu
retten war (nämlich ihre Existenz),
auch noch lebensgefährlichen Stromschlägen ausgesetzt waren.
Als Mitwirkende der "Bremer Nacht" (unser Equipment war zum Glück
teilweise ausgelagert) hatten auch wir
am Samstag die Ehre, an unserem Spielort Bürgermeister Börnsen und
Wowereit zu begrüßen. Ich konnte mir aber
nicht verkneifen, uns als "Überbleibsel"der "
Kresnik"-Katastrophe" zu bezeichnen. Herr Börnsen hatte es dann
leider sehr eilig, zu gehen.. In diesem Zusammenhang hört man von weniger
Betroffenen, es sollte jetzt kein "Aktionismus" betrieben
werden.
Nach meiner Erfahrung hört man dieses immer dann, wenn Interessenkonflikte
bestehen. Allerdings kann es letztlich tatsächlich dazu führen,
das Herr Kresnik und Company von den unschönen Dingen, die der
Musikszene Bremens geschehen ist, auch noch profitiert (kostenlose
Negativwerbung).
Unsere Band selbst ist mitten in einer CD-Produktion mit dem britischen
Pop und Rocksänger Alvin Stardust. Der Erscheinungstermin wird sich
auf unbestimmte Zeit verzögern, da Aufnahme-Modifikationen dank
Herrn Kresniks subventioniertem Ego über Wochen mangels Studioraum
unmöglich
geworden sind. So schallt der Namen Kresnik vielleicht bald auch nach
England und
deren Szene, Kresnik kennt ja dort noch keiner...
Oder wird doch noch
alles gut? - Torsten Gluschke (Wild Black Jets), Bremen
Pressemitteilung
des Bremer Theater vom 16. April 2007
Bremer Theater unterstützt
Verein 23
Einnahmen einer AMERIKA-Vorstellung
werden den betroffenen Musikern als Benefiz
zur Verfügung
gestellt - Gemeinsamer Appell an die politischen
Instanzen
Das Bremer Theater hat dem Verein 23, dessen
Mitglieder durch den Wasserschaden am Güterbahnhof in existenzielle Nöte geraten sind, anlässlich
eines Aufeinandertreffens am Montag seine Hilfe zugesichert. Konkret
bot die Theaterleitung - vertreten durch den Generalintendanten Klaus
Pierwoß und den kaufmännischen Geschäftsführer
Wolfgang Patzelt - dem Verein an, ihm die Einnahmen einer Vorstellung
des Stückes AMERIKA im Güterbahnhof als Benefiz zur Verfügung
zu stellen. Gedacht wird an den 9. Juni, da an diesem Termin der Tag
der offenen Tür des Vereins 23 stattfindet. Weiter bietet das
Theater den Musikern an, den Raum vorher und nachher für
eigene (Benefiz-)Veranstaltungen zu nutzen. Wolfgang
Patzelt betonte,
dass es sich hierbei keineswegs um eine Schadensregulierung, sondern um
eine Geste des Theaters handele. Die
Summe soll den Musikern schnellstmöglich
als Soforthilfe zugestellt werden.
Die Mitglieder des Vereins 23, deren Abordnung die existenziellen
Nöte
der Musiker schilderte, zeigten sich mit dem Gespräch erst einmal
zufrieden, so Sprecher Christian Just: Uns ist in erster Linie wichtig,
dass wir in der für uns sehr schwierigen Situation jetzt nicht
alleine gelassen werden. Patzelt und Pierwoß kündigten an,
sich - sofern möglich - in allen Bereichen für die Belange
der Musiker einzusetzen. Zudem appellierten sowohl Theater als auch
Musiker-Verein an die politischen Instanzen, die Musiker in ihrer Notsituation
zu unterstützen. Beide Seiten betonten, dass die zuletzt auch öffentlich
ausgetragenen Differenzen damit zunächst bereinigt
seien; auch sei es, wie Just darstellte, niemals die
Absicht des Vereins
gewesen,
irgendwelche Veranstaltungen des Theaters zu behindern.
Mit der Bitte um Veröffentlichung und mit freundlichen Grüßen,
Frank Schümann, Bremer Theater, Goetheplatz 1-3,
28203 Bremen
Frank Schümann - Leitung Öffentlichkeitsarbeit/Marketing
Tel.: 0421-3653-210 Fax: 0421/3653-216 E-Mail fschuemann@bremertheater.com
taz Nord vom 16.4.2007 (Leserbrief)
Monatelang Instrumente flicken
betr.: "Ball flach halten", taz bremen vom 14. 04. 2007
(…) Dies (der Wasserschaden am Güterbahnhof, d. Red.) ist
kein Fall für die Versicherung, sondern für den Staatsanwalt.
Wahrscheinlich denken sich die mächtigeren Parteien: "Wo
kein Kläger, da auch kein Richter." Und bei freiberuflichen
Künstlern, die jetzt monatelang ihre Instrumente flicken, weil
die Versicherung sowieso nur Zeitwert und den nur im härtesten
Fall einer Zerstörung (Grundtenor: "Gitarre stehen lassen,
das trocknet. Nachher wie neu") berechnet, da haben sie gute Chancen,
dass es genau so sein wird. Ein echtes Schnäppchen.
Ein Staats-Filz aus Bremer Theater, BIG, Performa, Baubehörde
schiebt nun die heiße Kartoffeln zwischen sich hin und her und
zerreibt mit geschulter Taktik die Geschädigten. Profis
eben.
Warum gibt's keinen Untersuchungsausschuss dazu? Es hätten dabei
viele Menschen zu Schaden kommen können, nicht nur unwiederbringliche
Studio-Masterband-Archive, wertvolle Vintage-Instrumente, teure Akustik-Inneneinbauten
und die Existenzen von 80 Freiberuflern. Ich weiß nicht, wo der
Sinn in Verständnis-Haben-Sollen für diese üble Posse
liegt. (…) PETER APEL, Bremen
Leserbrief (bisher
unveröffentlicht) an den Weser-Kurier, 15.4.07 zum
Artikel:
Kresniks Kafka Spektakel:
Wenn für solche Spektakel Geld vorhanden ist, dann sollte das Bremer
Theater auch Geld übrig haben, um die Folgen des von Kresnik´s
Inszenierung verursachten Wasserschadens begleichen zu können. In
ihrer realen Existenz bedrohte Musikschaffende, die seit Jahren kontinuierlich
Beiträge zur Bremer Szene liefern, werden sonst von der Versicherung,
wenn überhaupt, mit winzigen Beträgen abgespeist, obwohl ihr
Equipment, ihre Studios und Unterrichtsräume komplett abgesoffen
sind. Das Bauressort und das Theater weisen beide jegliche Verantwortung
von sich, wenn 700 Tonnen Wasser brüchige Mauern sprengen, die Politik
rührt
sich bis jetzt nicht. Das sollte sich schnell ändern.- T.M.,
Bremen
Leserbrief (bisher
unveröffentlicht) an
die TAZ Bremen, 15.4.07
Wenn ein paar Fotos solch eine Reaktion im Bauressort und beim Bremer
Theater auslösen und sich gegenseitig die Schuld zugewiesen wird,
kann ein normal denkender Mensch davon ausgehen, dass bei der Abnahme
des Beckens etwas schiefgelaufen ist. Zur Erinnerung: Wir reden hier
von 700 Tonnen Wasser, die natürlich auch mächtig zur Seite
drücken.
Es ist wohl an der Zeit, dass wir Musiker uns einen Sachverständigen
holen und unsere Verluste einklagen. Ein direkt Betroffener. - T.M.,
Bremen
Hannoversche
Alllgemeine vom
15.4.2007
Hier kam die Flut
Der
Theatermann Hans Kresnik inszeniert in Bremen Franz Kafkas „Amerika“ und
macht eine große Welle.
Früher hat Hans Kresnik für andere Wellen
gesorgt. Die Wellen der Empörung zum Beispiel schlugen hoch, als er vor
drei Jahren „Die zehn Gebote“ in einer Bremer Kirche aufführen
ließ – mit älteren nackten Frauen an Nähmaschinen. Jetzt
hat
Kresnik eine echte Welle verursacht. Im ehemaligen Bremer Güterbahnhof
wollte er für seine Version von Franz Kafkas „Amerika“ ein etwa
170 Meter langes Gleisbett komplett unter Wasser setzen. Die Senke zwischen zwei
Bahnsteigen wurde mit Folie ausgeschlagen und geflutet. Und dann barst eine Wand.
700.000 Liter Wasser ergossen sich in tiefer gelegene Räume, die einer Musikerinitiative
gehörten. Schlagzeuge, Gitarren, Verstärker und Lautsprecherboxen soffen
ab, durch den Wasserdruck brach eine Tür auf, ein nahe gelegener Tunnel
unter den Schienen wurde unter Wasser gesetzt, die Polizei musste den Autoverkehr
umleiten. Kresnik hatte ein Teilziel erreicht: Sein Theater war wieder
mal Gesprächsthema
in der Stadt. Auf den Wasserschaden reagierte der routinierte Regisseur recht
souverän. Das Schiffchen, das auf dem Gleiskanal schwimmen sollte, ließ er
einfach trockenfallen, und an dem eingebrochenen Bahnsteig änderte er nichts;
ein paar Pfützen auf der Plane zeugen bei der Premiere vom Unfall. Der Schadensfall
als Theaterbild – da muss man erst mal drauf kommen. Und das muss dann
auch noch passen. Verblüffenderweise tut es das. Es ist sogar ein recht
starkes Bild – denn es erzählt vom Projektemachen und vom Scheitern
und passt damit sehr schön zu Kafkas Romanfragment vom jungen Karl Roßmann,
den seine Eltern nach Amerika geschickt haben und der dort so etwas wie eine
entgrenzte Moderne mit Neigung zum Katastrophischen vorfindet. Regisseur Kresnik
steht für ein Theater der lauten Worte und starken Bilder. Oft (wenn die
Worte wichtiger sind als die Bilder) sind seine Arbeiten lautstark; gelegentlich,
wie bei seiner vielgerühmten Inszenierung von Karl Krauss’ „Die
letzten Tage der Menschheit“ in einem ehemaligen U-Boot-Bunker in Bremen, überwiegen
die Bilder – dann kann sein Theater sehr stark werden, manchmal auch traumhaft
schön. In „Amerika“ halten sich die lautstarke und die traumstarke
Seite in etwa die Waage. Am Anfang irrt der junge Karl Roßmann (Andreas
Seifert) durch den Güterbahnhof und ruft „Worin liegt meine Schuld?
Wer macht mir den Prozess?“. Man merkt, dass da jemand einen eher schlichten
Text auf Kafka zu biegen versucht. Später sagt der reiche Herr Pollunder
Sätze wie: „Ohne uns hätten zum Beispiel europäische Nahrungsmittelkonzerne
nie gelernt, die Menschheit gegen Bezahlung zu vergiften.“ Da haben wir
es dann mit Flugblattprosa zu tun, weit, weit weg von Kafka. Und auch noch schlecht
gesprochen: Obgleich ihre Worte elektronisch verstärkt werden, neigen die
Schauspieler zur Brüllerei. Immer, wenn es besonders kritisch sein soll,
wirkt Kresniks Theater besonders affirmativ, der Text (von Christoph Klimke)
ist Mainstream, die Argumente sind bekannt, die Phrasen sind hohl, die Pointen
schwach: „Morgen wird hier ein neuer Gouverneur gewählt“, heißt
es an einer Stelle, „ein Öko-Schwarzenegger. Der kann dann die elektrischen
Stühle mit Solarenergie betreiben.“ Bedächtig nickt das Publikum.
Auch die fortwährende musikalische Untermalung (von James Reynolds) veredelt
das nicht zum Kunstwerk. Aber dann gibt es doch immer wieder großes Kino
im Güterbahnhof. Die Zuschauer müssen stehen und gehen, sie wandern
die Spielorte des Stationendramas ab – und sehen Erstaunliches: einen Güterwagen
als Ozeanriesen, zwanzig Engel mit brennenden Flügeln (die durch den Graben
waten, der eigentlich mit Wasser gefüllt sein sollte), eine Monitorwand,
auf der Donald Duck die Freiheitsstatue knutscht und Bikinidamen Maschinengewehrsalven
abfeuern. Das stärkste aller starken Theaterbilder glückt dem Regisseur
am Ende. Der Publikumspulk hat den Güterbahnhof auf ganzer Länge durchschritten
und wird jetzt zurückgelotst. Man wandert an der Seitenwand der riesigen
Halle entlang. Hier stehen kleine Glashäuschen, in denen früher irgendwelche
Aufseher den Güterverkehr kontrolliert haben. Die Glashütten sind mit
einer alten Rohrpostanlage verbunden, man erkennt noch Reste technischer Geräte,
kann deren Zweck aber nur ahnen. In den Glashäuschen sitzen nackte Statisten.
Sie tauchen ihre Hände in Eimer mit roter Farbe und beschmieren damit von
innen die Scheiben. Das Bild fügt zusammen, was Kresnik sonst nur als papierne
Behauptung zusammengebracht hat: Kafkas Sicht auf Amerika und Guantanamo. Danach
fällt polternd die Freiheitsstatue zusammen, und man erinnert sich daran,
dass der Regisseur auch vor sehr einfachen Bildern keine Scheu hat. Weitere Aufführungen
19., 21., 27. und 28. April. Kartentelefon: (0421) 3653333. Von Ronald Meyer-Arlt
Bremer
Tageszeitungen vom 15.4.2007 (betr.
nicht den Wasserschaden)
Kresniks
Kafka-Spektakel
"
Amerika" zeigt Scheitern eines Auswanderers
BREMEN (DPA). Nackte kauern in Glaskästen. Zu düsterer
Musik schmieren sie orangene Farbe auf die Wände ihres Gefängnisses
- eine Anspielung auf das US-Gefangenenlager Guantánamo. Am
Sonnabend ist im alten Güterbahnhof in Bremen das Theaterstück "Amerika" nach
dem gleichnamigen Auswanderer-Roman von Franz Kafka uraufgeführt
worden. Regisseur Johann Kresnik ließ das Publikum bei diesem
bilderstarken Prozessionstheater zwei Stunden lang durch den Bahnhof
von Bühne zu Bühne wandern. Die 350 Zuschauer reagierten
auf die turbulente Inszenierung des Bremer Theaters mit verhaltenem
Applaus.
Wie in Kafkas Romanfragment "Amerika" verlässt auch
in der Theaterfassung von Christoph Klimke ein junger Mann seine Heimat.
Anders als bei Kafka (1883-1924) wandert Karl Roßmann hier allerdings
gemeinsam mit seiner Verlobten aus. Im Gegensatz zu den gängigen
Amerika-Klischees als Karriereland scheitert er in der Fremde. Karl
ist zu ängstlich und zu anständig. Er landet im Lager: Dort
sitzt er, mit einem Klebeband fixiert, auf einer Art elektrischem Stuhl: "Ich
bin nackt, ohne jede Identität." Nebel löscht
seine Existenz aus.
Kresnik hat für seine "Amerika"-Interpretation zu der
Musik des Komponisten James Reynolds gemäldeähnliche Szenen
komponiert. Auf einem Gerüst hoch über den Köpfen der
Zuschauer lässt er Karl, herausragend gespielt von Andreas Seifert,
und seine Verlobte zu der Musik einer Streicherin tanzen: Kurze Momente
der Ruhe in der tosenden Welt von Waffengeschäften
und Korruption. Kresniks Figuren sind schrill angelegt,
etwa die Diva mit Milch
spritzendem Riesenbusen und echten Ratten im Schlepptau,
die Karl auf die Knie zwingt. Kurz darauf explodiert
die auf Ölfässern
montierte Freiheitsstatue.
Auch bei dieser Inszenierung setzt der 67-jährige
Profi-Provokateur Kresnik auf das Stilmittel
der Überzeichnung, um die Ausweglosigkeit
von Menschen "ohne Geld, ohne Ausweis, ohne Beziehungen" zu
zeigen. Ein Kapitalist steht auf dem Dach eines Autowracks, jeder Satz
scharf wie ein Schuss: "Überwachungstechnologie,
das ist die Zukunft."
Blutige Schweinehälften und eine Monitorwand mit vermeintlichen
Nonsens-Sätzen von US-Präsident George Bush sind das Ambiente,
in dem Karl die zehn Gebote des Kapitalismus eingeimpft werden. Ein
verkrüppelter Kindersoldat verweist auf Irak- und Afghanistankrieg.
Trotz polternder Politikkritik sind solche in die Gegenwart übersetzten
Szenen spannender als die übrigen Stationen von Karls Irrweg.
Bremer
Tageszeitungen vom 15.4.2007 (betr.
nicht den Wasserschaden)
Theater
steht wieder auf festem Fundament
Abkommen zur Stabilisierung bis ins nächste Jahrzehnt ist ausgehandelt
/ Senat berät am Dienstag
Zur Sicherung des Theaters am Goetheplatz liegt inzwischen eine Vereinbarung
vor.
BREMEN. Vorhang auf für das druckfrische Stück "Sichere Zukunft
im Theater am Goetheplatz": Jahr für Jahr will
Bremen gut 23
Millionen
Euro beisteuern, damit die Spielstätte, die 2005 in finanzielle Schieflage
geraten war, auf lange Sicht eine verlässliche Grundlage für die Arbeit
hat. Diese Absicherung, die bis einschließlich der
Spielzeit 2012/2013 ausgehandelt wurde, wird in der kommenden
Woche im
Senat beraten.
Im Herbst 2005 hatte die Theater GmbH - Gesellschafterin:
Bremen - zeitweise täglich für Schlagzeilen gesorgt.
Dabei ging es fast immer nur um das Eine: Ein Millionenloch
im Haushalt.
Bald kam sogar der Begriff "Zahlungsunfähigkeit" in
den hitzigen Debatten auf.
Gleichwohl keimte parallel die Hoffnung, dass für die traditionsreiche Spielstätte
nun nicht endgültig der letzte Akt gekommen ist. Um
die Situation zu stabilisieren, wurde ein Darlehen
in Höhe
von 4,2 Millionen Euro gewährt
- damals befristet bis zum 30. Juni 2007. Damit gab es Luft
zum Atmen, die Tarifpartner
aus Politik und Gewerkschaften konnten sich zusammensetzen
und ein Modell zur Zukunftssicherung formen.
Nun liegt der Fahrplan für die Konsolidierung vor. Die damit verbundenen
Härten sollen auf mehrere Schultern verteilt werden. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sind demnach ebenso gefordert wie die Geschäftsführung
und die Gesellschafterin, sprich: die Freie Hansestadt Bremen.
Mehrere Millionen sollen mit dieser Gemeinschaftsaktion
in den kommenden Jahren erwirtschaftet werden. Durch den
Verzicht auf tarifliche Leistungen würden
die Beschäftigten auf insgesamt knapp vier Millionen Euro verzichten. Verdi-Vertreter
Onno Dannenberg betonte, die Beschäftigten hätten die Krise nicht verursacht,
die Zugeständnisse seien "keine Selbstverständlichkeit".
Wichtig sei, dass im Gegenzug eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2012
vereinbart worden sei. Staatsrat Henning Lühr, Verhandlungsführer für
den Kommunalen Arbeitgeberverband, dankte den Beschäftigten, dass sie "einen
entscheidenden Beitrag zum Erhalt des Bremer Theaters" leisteten.
Der Gesellschafter Bremen ist laut Verhandlungsergebnis unter
anderem mit Investitionszuschüssen
dabei. Konkret ist hier daran gedacht, die Laufzeit des gewährten Darlehens
zu verlängern. Ein Anteil in Höhe von einer Million der insgesamt 4,2
Millionen Euro würde nach diesem Modell noch in dieser
Spielzeit des Theaters in Eigenkapital der GmbH umgewandelt.
Die neue Geschäftsführung, der bereits Erfolge bescheinigt werden,
soll ebenfalls einen Teil der Last übernehmen. Ein stattlicher Beitrag wird
von den bereits beschlossenen Preiserhöhungen erwartet. Mehreinnahmen sollen
dazu über die Garderobengebühr kommen, überdies wird erwartet,
dass mehr Geld von Gönnern, Sponsoren, eingeworben wird. Und es soll nicht
automatisch zu Neueinstellungen kommen, wenn Personal aus Altersgründen
ausscheidet. Zu den Zielsetzungen gehört beispielsweise auch die Verbesserung
der betriebswirtschaftlichen Steuerung des Bremer Theaters. Die Abläufe
sollen auf diesem Weg noch transparenter gemacht und über
ein wirksames Controlling abgesichert werden.
taz
Nord vom 14.4.2007
Ball
flach halten
Schadensbegrenzung nach dem "Theater-Tsunami"
Unter dem Titel "Bremer Staats-Theater flutet die Freie Bremer
Musikszene" kursiert im Internet eine bittere Fotostory über
den "Theater-Tsunami": Man sieht
Bilder von weggesprengten
Steinen, nassen Schlagzeugen - und einen Gullideckel,
der auf etwaige "Sollbruchstellen" respektive
Rohre und Hohlräume in Kresniks
Wasserbassinwand hätte aufmerksam
machen können. "Genau daneben haben
wir eine Probebohrung
gemacht", weist ein Theatersprecher
den Verdacht auf Fahrlässigkeit
zurück.
Das Bauressort betont unterdessen, es sei lediglich
für
die feuerpolizeiliche Abnahme der Halle sowie die Überprüfung
der Fluchtwege zuständig.
Die statische Einschätzung des gefluteten
Gleisbetts sei allein
Sache des Theaters gewesen. Derweil
bemüht sich auch der "Verein
23" um Schadensbegrenzung - nach allen Seiten. Natürlich
sei die Wut der betroffenen MusikerInnen über kaputte Instrumente,
durchnässte Festplatten und Datenverluste nachvollziehbar, sagt
Christian Just, Bildender Künstler und Sprecher des "Vereins
23". Voreiliger Aktionismus beeinträchtige jedoch die Schadensregulierung,
insbesonders etwaige Störaktionen während der Radio-Übertragung "Nordwest
vor Ort" anlässlich der Premiere von "Amerika" könnten
sich "extrem kontraproduktiv" auswirken.
Zwar ist Just zufolge zu erwarten, dass die Versicherung
lediglich "Restwerte" für
das beschädigte Equipment zahlt. Zunächst einmal müsse
aber der abschließende Schadensbericht abgewartet werden. Und
das für Montag anberaumte Treffen mit
der Theaterleitung. HB
taz
Nord vom 13.4.2007
In
der Traufe
Ein
Großteil der professionellen MusikerInnen-Szene ist von
Kresniks Wasserschaden existenziell betroffen
"Wir drehen die Hähne auf", plakatiert das Bremer Theater
seit kurzem an Litfaßsäulen - eine Anspielung des künftigen
Intendanten Hans-Joachim Frey auf sein neues Logo. Vertreter der
Musikerszene finden das Wortspiel derzeit allerdings alles andere
als lustig. Die
Folgen des gigantischen Wasserschadens, der durch
den Mauerbruch bei Hans Kresniks "Amerika"-Inszenierung vorgestern im Güterbahnhof
entstand, könnte vielen von ihnen die berufliche Existenz
kosten.
Rund drei Viertel der professionellen Pop-, Rock-, Jazz- und Elektroszene
haben ihre Probenräume seit einigen Jahren im Güterbahnhof.
Hintergrund ist die flächendeckende Vertreibung der MusikerInnen
aus den Bremer Bunkern, die früher schall- und preisgünstige
Proberäume waren. An die 100 MusikerInnen nutzen mittlerweile
den Keller im Kopfbau des Güterbahnhofs, die 20 Räume mit
Größen zwischen 20 und 70 Quadratmetern sind meist mehrfach
belegt. Auch drei größere Tonstudios hatten dort ihr Domizil.
"
Jetzt ist hier absoluter Kahlschlag", sagt Peter Apel vom "Verein
23". Er hat den Wassereinbruch Mittwochmorgen live erlebt - heftige
Stromschläge inklusive, da seine Studioräume voll mit eingeschaltetem
Equipment standen. Insbesondere das Verhalten der zur Schadensschätzung
angereisten Versicherungsverteter sei extrem demütigend. Apel: "Der
erste Spruch war: Musiker wollen doch sowieso immer betrügen." Unter
anderem sechzig Verstärker, fünfzehn Schlagzeuge und dreißig
Tasteninstrumente werden derzeit begutachtet - laut Apel extrem oberflächlich. "Wenn
nicht noch das Wasser aus der Gitarre läuft, gilt sie als unbeschädigt."
Für die Betroffenen sei der Unfall in der Tat "sehr bitter" sagt
Frank Schümann, Sprecher des Bremer Theaters. Deswegen sei auch
sofort mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen
worden, etwa bei der Zwischenlagerung des Equipments. Dem Theater
könne
allerdings weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit unterstellt werden,
da die Wasserbefüllung baupolizeilich genehmigt gewesen
sei. Zur Klärung weiterer Hilfsangebote werde am Montag ein Treffen zwischen
Intendant Klaus Pierwoß und den Betroffenen stattfinden. HB
Bremer
Tageszeitungen vom 13.4.2007
80 Musiker sind schwer geschockt
BREMEN. Peter Apel sitzt immer noch der Schreck in den Gliedern. "Ich
hatte die Nacht durchgearbeitet und mich gerade ein bisschen hingelegt,
als das Wasser hereinschoss", berichtet der Musiker. "Ich bekam
einige Stromschläge ab und bin froh, dass ich überhaupt noch
lebe."Nicht alle haben die vom Bremer Theater ausgelöste Flutwelle
am frühen Mittwochmorgen so dramatisch erlebt. Doch die meisten
sind geschockt: Viele Instrumente und Anlagen sind untauglich, seit der
künstliche Graben im Güterbahnhof für das Theaterstück "Amerika" von
Regisseur Johann Kresnik ausgelaufen und rund 20 Studios vom "Verein
23" im Keller der ehemaligen Güter- und Zollabfertigung unter
Wasser gesetzt hat. Betroffen sind nach Angaben des Vereins etwa 80 Musiker
und Kulturschaffende. Etliche in ihrer Existenz.Wie berichtet, war die
dünne Ziegelwand eines gefluteten Gleisbettes auf 100 Metern Länge
gebrochen, weil der Statiker des Bremer Theaters an dieser Stelle keine
Probebohrungen vorgenommen hatte. Rund 700 000 Liter Wasser, in
denen eigentlich Kresniks Figuren schippern und schwimmen sollten, ergossen
sich in das Gebäude und bis zum Findorff-Tunnel.Beim Theater ist
man um Schadensbegrenzung bemüht und hat den Verein für Montag
zu einem Gespräch eingeladen. Die Instrumente können vorerst
am Goetheplatz eingelagert werden, und für die heimatlosen Bands
bemüht man sich um Proberäume. Regisseur
Johann Kresnik selbst nimmt das Malheur gelassen: "Die Einwanderer in Amerika hatten ja
auch einige Schwierigkeiten zu überwinden." Damit
spielt er auf die Vorlage des Stücks an, einen Auswanderer-Roman von Franz
Kafka.Inzwischen hat er die Szenen mit dem Wassergraben umgeschrieben
und zur öffentlichen Voraufführung gestern Abend stattdessen
die geborstene Mauer eingearbeitet. Die Premiere am Sonnabendabend ist
längst ausverkauft, insgesamt sind 25 Bremer Aufführungen von "Amerika" vorgesehen.Für
die Schadensermittler der Versicherung des Theaters gibt es viel zu tun.
Sie müssen Stück für Stück festlegen, welches Instrument
oder welche Anlage durch die Nässe unbrauchbar geworden ist oder
repariert werden kann. Peter Apel: "Wenn eine Gitarre
im Wasser gelegen hat, dann ist sie dahin." Damit alles seinen rechten
Gang geht, hat sich der Verein gestern einen Anwalt genommen.
taz Nord vom 13.4.2007
Premiere
mit Hindernissen: Amerika
Und sie findet doch am Samstag statt: die Premiere von Johan
Kresniks "Amerika" nach
Franz Kafka. Ein am Mittwoch geborstenes Bassin konnte den Gang
der Dinge nicht aufhalten.
Mit sechzehn Jahren wird Karl Roßmann von seinen Eltern nach Amerika geschickt.
Er flieht vor den Folgen einer Liebesaffäre, die Karls Familie um ihren
guten Ruf fürchten lässt. Amerika, das ist für den jungen Karl
das Land des Fortschritts und der Vorurteilslosigkeit, in dem Erfolg nicht auf
Herkunft basiert, sondern auf Tüchtigkeit und Fleiß.
Doch bereits auf der Überfahrt erlebt Roßmann die erste Enttäuschung,
denn auch auf dem Schiff geht, wie in der alten Welt, Hierarchie über Gerechtigkeit.
Diese Grunderfahrung von Ungerechtigkeit wird Karl auf den verschiedenen Stationen
seiner Reise verfolgen. Lediglich am Ende des Romans, der ursprünglich den
Titel "Der Verschollene" tragen sollte, lässt Kafka die Möglichkeit
einer anderen, besseren Welt in Gestalt des Naturtheaters von Oklahoma
aufscheinen.
Schon am Freitag wird die Begleitausstellung des Künstlerhauses Güterabfertigung
eröffnet. Zum Thema "Amerika" sind Werke aus Malerei, Holzskulptur,
Fotografie, Installation und Video von Künstlern der Güterabfertigung
zu sehen. Das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven zeigt den "Kofferberg" und
bietet überdies ein umfangreiches Begleitprogramm an.
Ausstellungseröffnung: Freitag, 20 Uhr; Premiere "Amerika": Samstag,
20.30 Uhr, Güterbahnhof, Gleishallen
taz Nord vom 12.4.2007
Der Altmeister sprengt die Grenzen
Kurz vor der Premiere sorgt Johann Kresniks Kafka-Spektakel
im stillgelegten Bremer Güterbahnhof für einen großen
Knall und fordert Opfer in der freien Szene: Unter
dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist ein zum
Bassin umfunktioniertes Gleisbett geplatzt
Kurz vor der Premiere hat sich die Spannung entladen. Mitten
in der Nacht. "Das
muss ein Knall wie von einer Bombe gewesen sein", sagt der technische
Direktor des Bremer Theaters, Matthias Nitsche. Die Kellerräume, in
denen Musiker der freien Szene Proberäume und Studios betreiben, waren
sofort geflutet, noch am Vormittag war eine benachbarte Unterführung überschwemmt:
Unter dem Druck von 700.000 Litern Wasser ist
im Bremer Güterbahnhof
eine Trennwand zwischen zwei Gleisbetten eingestürzt.
Zum Bassin umfunktioniert war sie Teil der Kulisse für die szenische
Fassung von Kafkas Romanfragment "Amerika". Copyright: Johann
Kresnik, bekannt durch sein Tanz-Theater, das Grenzen auslotet. Früher
auch gedankliche. Zuletzt aber in erster Linie physikalische - und haushalterische:
In Bonn,
wo er seit drei Jahren als Hauschoreograf wirkt, hat sich die Platzausnutzung
halbiert und von den überregionalen Feuilletons nimmt allein die
ihm in treuem Hass verbundene F.A.Z. noch regelmäßig seine
Bombastik-Shows wahr. Um sie mit beißendem Spott zu überziehen.
In Bremen, wo er einst, Ende der 1960er Jahre, das politische Tanztheater
erfand - und
das war wirklich eine Bühnenrevolution -, zogen seine Inszenierungen
jedoch immer ihr Publikum: Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" im
U-Boot-Bunker Valentin, die erregt von der regionalen Geistlichkeit vorab
diskutierten "Zehn Gebote" - das waren Triumphe der Amtszeit
von Generalintendant Klaus Pierwoß. Und Kresniks Kafka-Paraphrase
hat der als vorletzte Premiere und letzten großen Knaller seiner Ära
fest eingeplant. Für Schlagzeilen hat sie immerhin schon
gesorgt.
Kisten werden hochgeschleppt, Bongos, Schlagzeuge, Anlagen, Mischpulte,
die Sachen stapeln sich wild im Hof, ein großer Laster wird beladen. Im
Kellerflur dröhnen drei Nass-Sauger, der Estrich ist feucht. Der Gang
durch die kleinen Räume, wo Auslegware den Schall dämpft, gleicht
dem über eine Feuchtwiese: Bei jedem Schritt tritt Wasser
aus dem Boden.
Am Morgen, sagt Carlos, der hier ein Tonstudio hatte, sei er
durch die Brühe
gewatet. Bis drei Uhr in der Nacht war er noch mit Samplen beschäftigt
gewesen, als er dann um zehn wiederkam "dacht' ich, die Hütte ist
abgebrannt". Er war ohnehin eher genervt von den Theaterleuten: Das
Hin und Her mit schwerem Gerät, eine Etage höher, verträgt
sich nicht mit Tonaufnahmen. Damit aber verdient Carlos seinen
Lebensunterhalt.
Er gilt so ein bisschen als der wilde Mann hier, aber davon ist
gar nichts zu merken: Carlos wütet nicht, er schimpft nicht einmal, flucht höchstens
vor sich hin und die Augen sind geweitet. "Das ist meine ganze Existenz",
sagt er.
"
Unsere Sachen", stellt Theatertechniker Nitsche fest, "haben gehalten." Nur
eben die Wand nicht: Die sah aus wie durchgemauert. Einen Hohlraum hatte
niemand dort vermutet, auch die Baupolizei nicht, die grünes Licht gegeben
hatte fürs Einrichten des Bassins. Ein Fall für die
Versicherung.
Weggesprengt liegen Backsteine im Schacht. Pfützen glänzen auf
der schwarzen Plane. Ein dunkles Boot, das bei der Aufführung durch
den Kanal gondeln sollte, liegt leicht schräg, als wäre Ebbe. Gerade
war die Bauaufsicht wieder da: Proben und Aufführungen sind genehmigt.
Und Kresnik? "Dann verzichten wir halt aufs Wasser", hat der sofort
entschieden. Und festgestellt, dass "die Baustelle als Kulisse auch
geeignet" sei. Furztrocken.
Radio
Bremen, Regional-Meldungen, 11. April 2007, 15.34 Uhr
"Amerika"-Proben
nach Wasserschaden unterbrochen
Das Ensemble des Theaterstücks "Amerika" hat die Proben
im stillgelegten Bremer Güterbahnhof unterbrochen. Grund ist
ein Wasserschaden. Regisseur Kresnik hatte ein 200 mal vier Meter langes Schienenbett
fluten lassen.
Eine
Seitenwand hielt dem Druck aber nicht Stand und zerbarst auf
einer Länge
von etwa 100 Metern. Rund 160.000 Liter Wasser liefen aus und setzten unter
anderem den Findorfftunnel kurzzeitig unter Wasser.
taz
Nord vom 5.4.2007
Krafttheater
zum Letzen
Mit Intendant Klaus Pierwoß verlässt auch der österreichische
Theaterprovokateur Hans Kresnik Bremen - allerdings nicht ohne eine
letzte Inszenierung: "Amerika" spielt im still gelegten Güterbahnhof,
auf dem Boden liegen ausgeweidete Schweine
Der bremische Güterbahnhof ist der richtige Ort für die vermutlich
letzte Inszenierung des Theaterprovokateurs Hans Kresnik in Bremen.
Schon die Pressekonferenz vor Ort erlaubt Vorahnungen: 170 mal 70 Meter
groß ist der Raum, tiefer liegend drei Schienenspuren. Eine Spur
ist mit Folie ausgelegt, auf den drei Bahnsteigen: Schiffe, die amerikanische
Freiheitsstatue, Möbellager, ausgeweidete Schweine, von denen
die Innereien am Boden liegen, Autowracks, ausgestopfte Tiere lebensgroß.
Wie Kresniks Bremer Inszenierung von "Letzte Tage der Menschheit" wird
das Publikum auch in "Amerika" das Theater erwandern müssen.
Eigentlich hatte Peter Greenaway den Güterbahnhof mit der Bremer
Shakespeare Company für die Kulturhauptstadt-Bewerbung Bremens
bespielen wollen, doch nachdem es mit der Kulturhauptstadt nichts wurde,
sagte Greenaway ab. Doch dank Kresnik freut sich der Bremer Generalintendant
Klaus Pierwoß nun zum Ende seiner letzten Spielzeit auf einen "Kraftakt
mit besonderen Härtegraden". Zwölf Schauspieler werden
im Güterbahnhof dabei sein, 20 Statisten und vier Musiker. Der
Librettist Christoph Klimke hat eine Fassung des Kafka-Romans erarbeitet,
die den Brennpunkt Amerika heute miteinbezieht. Schon Kafkas glückloser
Auswanderer Karl Roßmann durchwandert ein Amerika, in dem Gesetz
und Gerechtigkeit nie zusammen fallen. Am Schluss des Romans trifft
Karl auf das Naturtheater Oklahoma, das ihm neue Hoffnung gibt. Der
bremische Schluss wird überraschend anders, verraten wird aber
noch nichts. Die Musik für Kresniks Inszenierung liefert der amerikanische
Komponist James Reynolds, die vier Musiker tragen Kostüme
und sind in das Geschehen involviert.
Die künstlerische Spur, die Hans Kresnik in vielen Jahren in Bremen
hinterlassen hat, wird mit dieser Inszenierung wohl erst einmal enden.
Bremen profitierte von der produktiven Verbindung zwischen dem österreichischen
Künstler und dem Intendanten Pierwoß. Kresniks bildmächtigen
Inszenierungen wie "Ulrike Meinhof", "Macbeth", "Sylvia
Plath" oder auch "Vogeler", die er bis 1994 als Leiter
des Bremer Tanztheaters lieferte, folgten Projekte wie die Operninszenierungen
von Ludwig van Beethovens "Fidelio" - das er in der untergehenden
Werft spielen ließ - und Luigi Nonos "Intolleranza".
Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" richtete er
im Bunker Farge aus, "Die zehn Gebote" in der Friedenskirche.
Man mag über Kresnik denken, was man will - er hat wegen seiner
häufig plakativen Art und seinem Griff in die Effektkiste nicht
ganz zu Unrecht viel Schelte bekommen. Dennoch lässt Kresnik zumindest
keine Langeweile aufkommen. Sein Theater ist leidenschaftlich, seine
Einfälle sind explosiv, und seine Obsessionen scheinen keine
Grenzen zu kennen.
25 Vorstellungen von "Amerika" wird es geben, am 13. Juli
ist dann definitiv Schluss. Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven
wird zum Stück Ausstellungen und Vorträge organisieren, auch
die Uni Bremen, der Verein 23 und die Landeszentrale für politische
Bildung arbeiten an Beiprogrammen zum Stück. Um das Wandern des
Publikums zu üben, lädt das Theater Bremen vor der Premiere
zu zwei Voraufführungen ein. 350 BesucherInnen werden hereingelassen.
UTE SCHALZ-LAURENZE
Voraufführungen: 10. und 12. April, Premiere: 14. April, Güterbahnhof
Bremen
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